Ein neuer Feind naht - Microsoft

Kapitel 09

2. Ausgabe vom Dezember 2009

Während Sculleys zehnjähriger Herrschaft hatte sich viel verändert. Als Apple den Macintosh im Jahre 1984 lancierte, verfolgte man damit ein Ziel: IBM vom Markt zu verdrängen. Der IBM PC hatte sich schon damals als Business-Computer etabliert und verkaufte sich hervorragend. Apple hatte diesem PC nichts entgegenzusetzen. Der günstige Apple II war für den Gebrauch als Bürocomputer nahezu untauglich. Für die anderen Computer aus dem Hause Apple fehlte es an hochwertiger Software, im Falle des LISAs verlangte Apple überdies einen sehr hohen Preis.

Mit dem Erscheinen des Macintoshs änderten sich die Vorzeichen schlagartig. Der Mac war dem IBM PC in jeder Hinsicht um Jahre voraus. Auch der Preis und das Softwareangebot passten. Und dennoch gelang es Apple zu keinem Zeitpunkt, mit dem Macintosh die Schreibtische der amerikanischen Büros zu erobern. Apple begab sich auf die Suche nach den Ursachen für die schleppenden Verkäufe. Sculley erkannte schon bald, dass die potenzielle Kundschaft zwar von den Fähigkeiten des Macs überzeugt war, ihnen aber das Vertrauen in Apple fehlte. Während IBM schon zu Zeiten der Schreibmaschinen nicht mehr aus dem Büroalltag wegzudenken war, galt Apple als junges, unerfahrenes Unternehmen mit einer eigensinnigen Firmenpolitik. Im Gegensatz zu IBM setzte Apple nicht auf bestehende Standards. Der IBM PC war dank seiner offenen Architektur für jedermann zugänglich. Zahlreiche Hersteller erhielten die Erlaubnis, eigene, IBM-kompatible Computer zu verkaufen. Schon Mitte der 80er-Jahre boten unzählige Hersteller IBM-Clones an. Doch viele dieser Computer hatten mit ihrem Vater, dem ursprünglichen IBM PC, nur noch eine Gemeinsamkeit: Das DOS-Betriebssystem von Microsoft.

Die zunehmende Verbreitung der IBM-kompatiblen PCs führte dazu, dass auch auf dem Apple-Campus in Cupertino das Thema der Clones heftig diskutiert wurde. Apples Management stand vor der Frage, ob es sinnvoll wäre, Lizenzen für das Mac-System zu vergeben. Die Befürworter einer Lizenzvergabe waren der Meinung, dies würde die Attraktivität der Plattform erhöhen. Die Mac-Clones hätten zur Folge, dass die Kunden nicht mehr von einem einzigen Unternehmen, nämlich von Apple, abhängig wären und zusätzlich zwischen verschiedenen Mac-Modellen wählen könnten. Einer der prominentesten Fürsprecher der Lizenzvergabe war Bill Gates, der CEO von Microsoft. Er schrieb mehrere Briefe an Apple, in denen er Sculley zur Vergabe von Mac-Lizenzen ermunterte. Microsoft zählte zu den wichtigsten Drittherstellern und hatte starkes Interesse am Erfolg der Mac-Plattform. Doch Sculley folgte dem Rat nicht, womit das Thema der Lizenzen vorerst vom Tisch war. Sculley war felsenfest davon überzeugt, dass sich Apples überlegene Technologie längerfristig auf dem Markt durchsetzen würde. Er verstand die Bedeutung des Mac-Systems nicht und sah in Apple in erster Linie ein Hardwareunternehmen. Somit würden die Anbieter von Clones nicht dazu beitragen, den Marktanteil der Mac-Plattform zu erhöhen, sondern lediglich in Konkurrenz zu Apples Hardwareabteilung treten.

Doch Sculleys Überzeugung stellte sich als fatale Fehleinschätzung heraus. Mit dem Fortschreiten der PC-Revolution bekam Apple den Atem der Konkurrenz immer deutlicher zu spüren. Als sich das Jahrzehnt seinem Ende neigte, stand Apple bereits als Verlierer im Kampf der Plattformen fest. Erst allmählich wurde sich Sculley dieser Tatsache bewusst. In einem letzten Versuch, dem Macintosh doch noch zu seinem Siegeszug in den Haushalten und Büros zu verhelfen, riss John Sculley das Steuer 1991 mit all seiner Kraft ein letztes Mal herum und vollzog eine radikale Kurskorrektur. Apple verbündete sich mit dem einstigen Erzrivalen IBM. Mit vereinten Kräften wollten sie eine neue Computerplattform etablieren, um sich aufzulehnen gegen ihren neuen, gemeinsamen Feind: Microsoft.

In den hohen Köpfen bei IBM und Apple schwebten zwei magische Begriffe, Symbole für eine glorreiche Zukunft: Der eine Begriff war Pink, das von Apple seit vier Jahren geförderte, vollständig objektorientierte und plattformunabhängige Betriebssystem, in welches die führenden IBM-Entwickler bereits im April 1991 einen ersten Einblick erhielten. Doch eine so wegweisende und radikale Technologie wie Pink sollte unter keinen Umständen auf der bestehenden, schon seit Jahren angestaubten und zunehmend veralteten Prozessor-Architektur der Motorola 68k-Familie seinen Dienst verrichten. Aus diesem Grund tüftelten die Ingenieure von Motorola und IBM an einer neuen Wunderwaffe, dem zweiten magischen Begriff, einem auf dem RISC-Prinzip basierenden Prozessordesign namens PowerPC.

In ihrem Pakt, der am 2. Oktober 1991 offiziell in Kraft trat, konzentrierten sich Jack Kuehler von IBM sowie John Sculley auf zwei wesentliche Punkte: Apple, IBM und Motorola sollten gemeinsam den PowerPC zu seiner Reife bringen, während sich Taligent, ein von IBM und Apple gegründetes Joint Venture, um die Fertigstellung von Pink, welches ab diesem Zeitpunkt ebenfalls auf den Namen Taligent hörte, kümmern sollte. Taligent sollte die «Wintel»-Dominanz sprengen, der Name Taligent war ein künstliches Konstrukt aus den englischen Wörtern «talent» ohne «nt» (als Anspielung auf Microsofts Betriebssystem Windows NT) und «intelligent» ohne «intel» (als Anspielung auf den gleichnamigen Halbleiterhersteller). Doch um zu verstehen, wie Microsoft und Intel überhaupt zu ihrer erdrückenden Monopolstellung im Krieg der Plattformen kommen konnten, müssen wir die Zeit um ein paar Jahre zurückdrehen.

Als Apple mit dem Macintosh 1984 einen völlig neuen Computer ins Rennen schickte, war der Geschäftsleitung klar, dass das Softwareangebot für den Mac über Erfolg oder Misserfolg entscheiden würde. Mit dem Mac legte Apple den Grundstein, um gegen IBM bestehen zu können, doch nur wenn die Drittanbieter ihre Software so anpassen würden, dass sie die Vorteile des innovativen Mac-Systems voll ausschöpfen, hätte Apple eine wirkliche Chance. Alleine die Gesinnung von Microsoft, dem wichtigsten aller Softwareentwickler, konnte über Wohl und Wehe von Apple entscheiden. Mit dem Microsoft Disk Operating System (DOS) hatte die Firma aus Redmond ein gewichtiges Standbein im PC-Markt, doch auch Bill Gates erkannte, dass die Zukunft der Software in Systemen mit grafischer Benutzeroberfläche - wie beim Mac - lag. Gates hatte durchaus Interesse am Mac-Geschäft, im Jahre 1982 unterzeichneten er und Steve Jobs gemeinsam einen Vertrag, in dem Gates versicherte, Business-Applikationen für den Mac zu entwickeln. Ausserdem hielt der Kontrakt fest, dass Microsoft sämtliche mausbasierten Anwendungsprogramme exklusiv für den Mac entwickeln musste. Apple stellte dem Unternehmen aus Redmond als Gegenleistung zahlreiche Prototypen des Macs zur Verfügung, so dass Microsoft gegenüber konkurrierenden Softwareunternehmen einen erheblichen Zeitvorsprung besass. Gates hielt sein Versprechen, pünktlich zur Einführung des Macintoshs im Jahr 1984 standen Microsoft BASIC und MultiPlan für den Mac zur Verfügung.

Doch Gates war nicht dumm. Um sich für den Fall, dass sich der Macintosh als Flop erweisen sollte, abzusichern, hielt er einen Plan B in der Hinterhand: Windows. Dies war ein Projekt, welches zum Ziel hatte, DOS eine grafische Oberfläche zu verpassen. Microsoft kündigte Windows im November 1983 erstmals an. Apple liess sich davon jedoch nicht beunruhigen. Man war überzeugt, dass sich der Mac über kurz oder lang zum Standard mausern würde. Ausserdem war man gegenüber Microsoft vertraglich abgesichert, so dass Windows dem Mac nicht allzu stark gleichen durfte. Doch einige Monate später machte sich bei Apple Ernüchterung breit, die Verkaufszahlen des Macs sanken und sanken. Apple brauchte Zeit, im Businesssektor wurde der Mac noch immer ignoriert. Sculley bekam kalte Füsse. Am 24. Oktober 1985 erteilte er Microsoft die Erlaubnis, einige Elemente des Mac-Systems in Windows zu nutzen, wenn Microsoft im Gegenzug die Tabellenkalkulationssoftware Excel vorerst nur für den Mac anbieten würde. Sculley rechnete Excel eine Schlüsselrolle im Businessmarkt an. Er ging davon aus, dass die Verfügbarkeit sämtlicher wichtigen Microsoft-Produkte für den Mac den Todesstoss für das Windows-Projekt bedeuten würde. Doch dem war nichts so, Sculley hatte sich verschätzt. Bill Gates wurde das Risiko zu gross, alles auf den Mac zu setzen, und so kündigte er am 20. November 1985 die Verfügbarkeit von Windows für den IBM PC an.

Zwar war Windows in seiner ersten Version kaum praxistauglich, doch der technologische Fortschritt gegenüber MS DOS war unübersehbar. Sculley sah in Windows keine ernsthafte Mac-Konkurrenz, und so einigte er sich am 22. November, nur zwei Tage nach dem Verkaufsstart von Windows, mit Bill Gates auf einen neuen Vertrag. Microsoft erhielt die Lizenz, die in Windows verwendeten grafischen Elemente auch in zukünftigen Produkten zu verwenden. Dafür garantierte Microsoft, die Textverarbeitungssoftware Word in einer Fassung für den Macintosh anzubieten.

In den folgenden Jahren trieb Microsoft die Entwicklung von Windows weiter voran, längerfristig sollten sämtliche Überreste von DOS verschwinden, Windows-PCs sollten nach dem gleichen Prinzip bedienbar sein wie der Mac. 1988 gelang ein erster wegweisender Schritt. Mit Version 2 hielten überlappende Fenster und Mac-ähnliche Icons in die Windows-Software Einzug. Die Reaktion aus Cupertino folgte prompt: Apple reichte beim Gerichtshof von San Jose eine Klageschrift ein. Niemand aus Apples Führungsetage zweifelte auch nur eine Sekunde am Erfolg der Klage, schliesslich bezog sich der Vertrag von 1985 nur auf die in der ersten Windows-Version verwendeten Elemente. Doch das Gericht sah dies anders. Es begann ein Rechtsstreit, welcher sich über Jahre hinzog.

Bei der Entwicklung des Macintosh haben wir uns an ein berühmtes Zitat von Picasso gehalten: «Gute Künstler kopieren, grossartige Künstler stehlen.» Was halten Sie von der Klage? Ich persönlich kann sie nicht begreifen. Kann man die Schwerkraft mit einem Copyright schützen? Nein.

Steve Jobs über Apples Streit mit Microsoft

Beide Parteien zogen die Klage immer weiter, das entscheidende Urteil fiel erst 1993. Vaughn Walker, der zuständige Richter, verkündete, dass sich die meisten grafischen Elemente des Macs urheberrechtlich gar nicht schützen liessen und das Gericht entschied zugunsten von Microsoft. Trotz dieser Niederlage gab Apple den Kampf nicht auf und brachte den Fall vor den höchsten amerikanischen Gerichtshof, welcher eine Anhörung jedoch ablehnte. Damit nahm der millionenteure Rechtsstreit am 21. Februar 1995 auch auf dem Papier ein Ende.

Leider lehnen sich die Leute nicht gegen Microsoft auf. Sie wissen es offenbar nicht besser.

Steve Jobs in einem Interview im Rolling Stone Magazine im Juni 1994

In der Realität war die Klage schon längst zur Farce verkommen. Mit der 1990 erschienen Version 3 von Windows brachte Microsoft fast den gesamten Markt unter Kontrolle und schickte sich nun an, auch die restlichen Marktanteilprozente noch an sich zu reissen. Am 24. August 1995, als der Macintosh schon über ein Jahrzehnt auf dem Buckel hatte, führte Microsoft Windows 95 ein. Windows 95 übernahm fast alle grafischen Merkmale des Mac-Systems. Bill Gates hatte sein Ziel, den Mac auf den PC zu bringen, endlich erreicht.

An dem Tag, an dem ich Apple verliess, waren wir Microsoft um zehn Jahre voraus. Im technischen Business ist es wirklich schwer, sich einen 10-Jahres-Vorsprung zu verschaffen. Aber Apple hatte ihn mit seiner grafischen Oberfläche. Apples Problem war nur, dass es seine innovative Haltung aufgegeben hat. Der heutige Mac unterscheidet sich nur in 25 Prozent von dem, der aktuell war, als ich von Apple weg ging. Und das reicht eben nicht für 10 Jahre und Milliarden Dollar in Forschung und Entwicklung. Es lag nämlich nicht daran, dass Microsoft so clever war, den Mac zu kopieren, sondern Apple sass 10 Jahre still wie eine Ente. Apples Problem ist, dass sich sein Anderssein in Luft aufgelöst hat.

Steve Jobs zur Zeit der Einführung von Windows 95