Erfolgsstory iPod

Kapitel 17

2. Ausgabe vom Dezember 2009

Ende Oktober 2001 lud Apple eine Hand voll Journalisten zu einer Produktankündigung nach Cupertino. Auf der Bilanzpressekonferenz in der Vorwoche hatte Apple beiläufig die geplante Lancierung eines bahnbrechenden neuen Devices erwähnt und damit die gesamte Mac-Community in Aufruhr versetzt. Mit der Bemerkung, es handle um kein Mac-Produkt, heizte Apple die Spekulationen sogar noch zusätzlich an. Nicht wenige hofften auf einen PDA von Apple, der in die Fussstapfen des altehrwürdigen Newtons hätte treten können.

Doch Apple hatte andere Pläne. «Say hello to iPod» lautete der Slogan, mit welchem sich Steve Jobs am 23. Oktober 2001 während seiner Ansprache in Apples Firmenzentrale an die versammelte Journalistenschar wandte. Der iPod war ein eleganter MP3-Player in der Grösse eines Spielkartenstapels. Auf seiner weiss verkleideten Vorderseite besass der iPod ein grosses Display, direkt darunter hatte Apple das Scroll Wheel für die Navigation angebracht. Die komplett verchromte Rückseite verlieh dem iPod ein elegantes Erscheinungsbild.
Vom technischen Standpunkt her beeindruckte der iPod durch seine Festplatte, welche dank einer Kapazität von fünf Gigabytes rund tausend Songs speichern konnte. Ein FireWire-Anschluss sorgte für eine schnelle Anbindung an den Mac.

Die ersten Reaktionen auf den iPod fielen gemischt aus. Für Musikliebhaber und Technikbegeisterte war der iPod von Beginn an ein beeindruckendes Stück Technik mit ausgeprägtem Must-Have-Faktor. Kritiker sahen im iPod hingegen ein weiteres Apple-Produkt, welches sich aufgrund des hohen Preises - der iPod kostete 399 Dollar - und der fehlenden Windows-Kompatibilität auf dem Markt als Flop erweisen würde. Damals ahnte noch niemand, welch sagenhaften Siegeszug der iPod in den Folgejahren antreten würde.

Apple erhöhte die Speicherkapazität des iPods bereits im Sommer 2002 auf 20 Gigabyte und stellte auch die Kompatibilität zu Windows-PCs her. In der Folge führte Apple im Jahresrhythmus neue Modelle ein und ermöglichte es ab 2003 auch Drittanbietern, eigenes iPod-Zubehör zu entwickeln.
Innert weniger Jahre eroberte sich Apple mit dem iPod einen Marktanteil von 70 Prozent bei den digitalen Musikplayern. Eineinhalb Jahre nach seiner Einführung hatte Apple eine Million iPods verkauft und erreichte jährliche Wachstumsraten von 400 Prozent. Im April 2007 überstiegen die Verkaufszahlen die Grenze von 100 Millionen iPods, für die nächsten 100 Millionen sollte Apple lediglich noch 18 Monate benötigen.

Zum Vergleich: Sony benötigte mehr als zehn Jahre, um 50 Millionen Walkmans zu verkaufen, während Apple mit dem iPod denselben Meilenstein in weniger als der Hälfte der Zeit schaffte.

Robert Semple, Analyst

Unterdessen hatte auch die wirtschaftliche Bedeutung des iPods zugenommen. In Spitzenmonaten generierte der iPod die Hälfte von Apples gesamten Einnahmen. Somit hatte sich der iPod in Rekordzeit von einem umstrittenen High-Tech-Gadget zu einem wahren Goldesel gemausert. Dank dem iPod konnte sich Apple zudem über steigende Bekanntheitswerte freuen, was letztlich allen Geschäftsbereichen zu Gute kam. Damit hatte der iPod genau jenes Ziel erreicht, welches zu Beginn seiner Entwicklung im Vordergrund gestanden war.

Ursprünglich war der iPod aus der Idee heraus geboren, dass Apple einen Strategiewechsel benötigte, um weiter wachsen zu können. «Was müssen wir tun, damit mehr Leute einen Mac kaufen?», hatte Steve Jobs im Frühsommer 2000 Apples Führungsetage gefragt. Die Antwort fand er in der Digital-Hub-Strategie. Wenn der Mac mit sämtlichen Geräten des digitalen Zeitalters kommunizieren und die Funktion eines Hubs, einer Schnittstelle zwischen Digitalkamera, Mobiltelefon, PDA, MP3- und DVD-Player übernehmen könnte, dann würde seine Attraktivität im Massenmarkt auf einen Schlag massiv steigen. Apple, traditionell stark im Multimedia-Bereich, hatte mit QuickTime, iMovie und FireWire bereits einige heisse Eisen im Feuer.
Um eine Führungsrolle in der Revolution des «Digital Lifestyle» einzunehmen, gab Jobs den Startschuss zur Entwicklung von iTunes und iDVD. Zusammen mit iMovie sollten diese Programme ein starkes Software-Fundament bilden, auf welchem Apple seine Digital-Hub-Strategie aufbauen könnte. Doch Jobs wollte noch einen Schritt weiter gehen. Er suchte nach Möglichkeiten, um mit Apple ein eigenes Gadget für den Digital Lifestyle herzustellen. Jahre zuvor hatte sich Apple aus dem Markt für Heimelektronik zurückgezogen, nun plante Apples CEO ein Comeback.

Nachdem wir mit der Entwicklung von iTunes begonnen hatten, schauten wir uns um, welche Geräte auf dem Markt erhältlich waren. Es gab hervorragende Videokameras und digitale Fotokameras, die sich gut verkauften. Viele dachten deshalb, wir würden einen Palm-ähnlichen Organizer einführen, doch Jobs glaubte, dass deren Zeit bald vorbei sein würde. Als wir zu den digitalen Musikplayern kamen, fanden wir nur entsetzlich schlechte Geräte. Entweder waren sie gross und klobig oder klein und nutzlos. Allen gemein war ein furchtbar schlechtes User Interface. Daraufhin beauftragte mich Steve, einen besseren Musikplayer zu bauen.

Jon Rubinstein, ehemaliger Vorsteher von Apples iPod-Division

Jon Rubinstein war Jobs’ ehemaliger Hardware-Verantwortlicher bei NeXT gewesen und war 1997 zu Apple gestossen. Ende des Jahres 2000 begann er, sich ein Entwicklungsteam für den iPod zusammenzustellen. Die Vorgabe lautete, keine Mac-Leute abzuziehen und möglichst viele Komponenten und Technologien von anderen Apple-Produkten zu übernehmen oder extern zu beschaffen. Steve Jobs wollte um jeden Preis verhindern, dass aus der iPod-Entwicklung ein langwieriges Forschungsprojekt entstehen würde.

Eines der ersten Mitglieder des iPod-Teams war der Hardware-Ingenieur Tony Fadell. Fadell, der zuvor für General Magic und Phillips tätig gewesen war, hatte sich intensiv mit der Konzeption eines neuartigen MP3-Players beschäftigt. Er wollte einen Player bauen, der nicht wie die damals erhältlichen Player mit Flash-Speicher arbeitete, sondern eine Festplatte besass. Damit sollte es möglich sein, bis zu tausend Songs auf dem Gerät zu speichern. Um die Festplatte zu füllen, würde der Anwender die Songs aus einem Internetshop per Download beziehen können.
Mit seinen Ideen wandte sich Fadell erst an RealNetworks und anschliessend an Phillips, stiess aber auf keinerlei Interesse. Doch als Rubinstein von Fadells Plänen Wind bekam, heuerte er ihn umgehend an. Von da an stand Fadell bei Apple einem 30-köpfigen Ausschuss vor und hatte die Aufgabe, das Hardwaredesign des Players zu entwerfen.

Steve Jobs wollte den Player pünktlich zum Weihnachtsgeschäft haben, so dass nur wenige Monate für die Entwicklung der Kerntechnologien zur Verfügung standen. Rubinstein und Fadell begaben sich auf die Suche nach Technologiepartnern, welche Apple mit ihrem Know-How unterstützen könnten. Fadell stiess auf das Startup-Unternehmen PortalPlayer, welches ein Referenzdesign für einen kompakten MP3-Player entwickelt hatte. Um Zeit zu gewinnen, kaufte Apple kurzerhand PortalPlayers Hardware-Pläne.

Auch die Software wurde nicht inhouse entworfen. Jon Rubinstein entschied, das vom ehemaligen Apple-Mitarbeiter Paul Mercer programmierte Pixo OS als Betriebssystem für den iPod zu verwenden. Mit Pixo OS und dem PortalPlayer-Referenzdesign verfügte Apple nun über das zum Bau des iPods benötigte technologische Grundgerüst. Eine Schlüsselkomponente fehlte jedoch noch: das Speichermedium. Fadell plädierte für den Einsatz einer Festplatte, doch die damals erhältlichen Festplatten waren für einen kompakten Player, wie er Rubinstein vorschwebte, allesamt zu gross und benötigten zudem viel zu viel Strom. Doch im Frühjahr 2001 fand Rubinstein auch für dieses Problem eine Lösung.

Wir statteten unseren japanischen Zulieferfirmen den jährlichen Routinebesuch ab. Sie präsentierten uns jeweils ihre neusten Komponenten für den Einsatz in unseren Mac-Produkten. Als wir bei Toshiba waren, erwähnte jemand beiläufig die Entwicklung einer winzigen 1.8-Zoll-Festplatte. In Toshibas Augen war dies nichts weiteres als ein cooles Forschungsprojekt, für das man allerdings noch keinen Markt sah. «Wenn ihr hierfür eine Verwendung seht, lasst es uns wissen.» teilte Toshiba uns mit.

Jon Rubinstein


In der Folge baute das iPod-Team zusammen mit Apples Designer Jonathan Ive Prototyp um Prototyp. Eine der grössten Herausforderungen für die Ingenieure stellte die Batterielaufzeit dar. Erst durch den Einbau eines 32 Megabyte grossen Buffer-Speichers und nach zahlreichen Software-Optimierungen war es möglich, die anvisierte Laufzeit von zehn Stunden zu erreichen. Ive und sein Team kümmerten sich derweil um das Bedienkonzept.

Steve Jobs machte schon sehr früh einige interessante Beobachtungen, wie man durch die Inhalte navigieren sollte. Es ging darum, die wichtigsten Funktionen ins Zentrum zu rücken. Wir wollten dem Gerät nicht zu viele Funktionen geben - das hätte es zu kompliziert gemacht und wäre sein Verderben gewesen.

Jonathan Ive

Eine Schlüsselkomponente in Ives Bedienkonzept bildete das Scroll Wheel, eine Idee von Apples Marketingchef Phil Schiller. Damit liessen sich auch umfangreiche Menüs sehr intuitiv durchforsten. Neben dem Scroll Wheel kam der iPod mit lediglich fünf Tasten zur Steuerung aus.
Viel Zeit investierte das Team rund um Jon Rubinstein in die nahtlose Integration in iTunes. Apple entwickelte eine neue Version von iTunes, welche die gesamte Musikbibliothek mit dem iPod abgleichen konnte. Sobald man einen iPod an einen Mac anschloss, startete iTunes und kopierte sämtliche Songs und Wiedergabelisten auf den iPod. Dank FireWire ging die Übertragung rasend schnell vonstatten, innert weniger Minuten waren tausend Songs kopiert.

Die meisten Leute machen den Fehler, zu glauben, Design sei, wie etwas aussehe. Das ist nicht, was wir denken. Es geht nicht nur darum, wie etwas aussieht oder sich anfühlt. Design ist, wie es funktioniert.

Steve Jobs

Steve Jobs war stark involviert in das iPod-Projekt und verlangte höchste Geheimhaltung. Nur ausgewählte Apple-Mitarbeiter hatten Zugriff auf die Hardware-Prototypen. Die Software-Entwickler und die externen Mitarbeiter mussten mit Prototypen in der Grösse eines Schuhkartons arbeiten und hatten keine Ahnung, wie das fertige Produkt einmal aussehen würde.

Als sich der Player seiner Fertigstellung näherte, legte CEO Jobs höchstpersönlich den Slogan «1’000 songs in your pocket» fest. Was dem Entwicklungsteam rund um Jon Rubinstein allerdings noch fehlte, war ein Name für ihr Produkt. Der Name «iPod» wurde von Vinnie Chieco, einem freischaffenden Werbetexter aus San Francisco, vorgeschlagen.

Wenn man über das Produkt nachdenkt, dann passt der Name nicht wirklich. Aber das stört nicht. Er ist kurz und prägnant.

Athol Foden von Brighter Naming, Experte für Produktbezeichnungen

Apple fand Gefallen an diesem Vorschlag, da «iPod» gut klang und sich leicht einprägen liess. Ausserdem besass der Name keinen direkten Bezug zu den Funktionen des Players, so dass er auch dann noch passen würde, wenn Apple den iPod um weitere Features erweitern würde.
Als das iPod-Team den Namen «iPod» eintragen lassen wollte, stellten sie fest, dass sich Apple die entsprechenden Rechte bereits erworben hatte. Ein Jahr zuvor hatte Apple den Namen iPod bereits für ein anderes Projekt eintragen lassen, welches in der Zwischenzeit aber eingestellt worden war. Somit stand der Verwendung des Namens iPod nichts mehr im Weg und Steve Jobs konnte das neue Apple-Produkt am 23. Oktober der Weltöffentlichkeit vorführen.

Dies ist ein grosser, bedeutender Durchbruch.

Steve Jobs bei der Einführung des iPods