iOS gegen die Konkurrenz: Ist das Apple-Betriebssystem zu verschlossen?

In den letzten Wochen gab es von Analysten immer wieder Befürchtungen, dass Apple im Mobile-Segment hinter die Konkurrenz zurückfallen könnte. Der Grund dafür sei gemäss den «Experten» eine aktuell fehlende Innovationskraft bei Apple. Gemäss dem Journalisten Mike Elgan fällt Apple aber aus einem anderen Grund hinter die Konkurrenz zurück: Weil die Apple-Produkte nicht offen gegenüber Technologien fremder Hersteller sind.

In den letzten Jahren hatte die Strategie von Apple, ein abgeschlossenes System aufzubauen, Vorteile, weil es die Plattform sicherer gemacht hat und für ein einheitliches Design sorgte. Während Android-Smartphones für ihre Anpassbarkeit bekannt sind, verlässt man sich bei Apple darauf, dass alles bereits beim Einschalten des Gerätes am richtigen Ort ist. Apple kontrolliert für dieses Nutzer-Erlebnis jeden Aspekt der Benutzerführung und gewährt den installierten Apps nur einen beschränkten Zugriff zum System und deren Daten. Durch diese Einschränkungen gibt es immer mehr Nutzer, welche bei ihrem Gerät ein «Jailbreak» durchführen, um Zugang auf mehr Optionen und Funktionalitäten des Systems zu erhalten. Durch die Restriktionen werden auch Innovation in bestimmten Gebieten gehemmt.

Ein gutes Beispiel für die Offenheit anderer Systeme ist gemäss Elgan die «Now»-Funktion der «Google Now» in der «Such-App von Google. Diese Funktion soll dem Nutzer dabei helfen, die tägliche Informationsflut so aufzubereiten, damit man die Informationen nur dann bekommt, wenn man sie tatsächlich benötigt. Beispielsweise analysiert die App den Kalender und warnt den Nutzer automatisch, falls er einen Termin zu verpassen droht, weil er sich zu weit vom Treffpunkt entfernt befindet.
Diese automatische Warnung erscheint allerdings nur in der Android-Version von «Google Now». Apple verhinderte durch die Richtlinien für Dritthersteller, dass deren Apps tiefer ins System integriert werden können. Nur mit einer tieferen Integration ins System wäre es möglich gewesen, den vollen Funktionsumfang des Programmes analog der Android-Version nutzbar zu machen. Durch die Restriktionen von Apple ist es zudem auf iOS-Geräten nicht möglich, «Google Now» wie bei Android-Geräten ohne die Berührung des Smartphones, sondern nur mit einem speziellen Sprachbefehl zu starten.
Durch die restriktive Politik von Apple werden dem Nutzer Funktionen vorenthalten, welche einen deutlichen Mehrwert gegenüber anderen Programmen geboten hätten.

Mit den gleichen Einschränkungen hat wohl auch Facebook zu kämpfen. Bei Android-Smartphones mit der Erweiterung «Facebook Home» erscheinen in jeder App sogenannte «Chat Heads», wenn jemand mit einem eine Diskussion beginnt. Damit kann man ohne den Wechsel auf die Facebook-App mit anderen Personen kommunizieren — direkt «über» einer beliebigen anderen App. In der iOS-Version sind die «Chat Heads» lediglich in der Facebook-App verfügbar und der Nutzer muss immer in die Facebook-App wechseln, um mit einer anderen Person zu kommunizieren. Facebook hätte mit grosser Wahrscheinlichkeit die «Chat Heads» auf iOS-Geräten systemweit verfügbar gemacht, wenn Apple die Erlaubnis dazu erteilt hätte. Damit hätte die Kommunikation ins Zentrum der Nutzung gerückt werden können.

Auch bei Google Glass könnten gemäss dem Journalisten iOS-Nutzer weniger Funktionen nutzen als bei einem Android-Smartphone. Vor allem Funktionen, welche Drittanbieter für Google Glass entwickeln, könnten von iOS-Nutzern kaum genutzt werden. Damit werden die iOS-Nutzer ein weiteres Mal aussen vor gelassen, wenn es um innovative Projekte aus der IT-Branche geht.

Diese drei Beispiele zeigen, wie sich die IT-Industrie entwickelt, ohne dass iOS-Nutzer vollständig davon profitieren könnten. Apple ist zwar ein innovatives Unternehmen, aber die Innovationskraft der gesamten IT-Industrie ist grösser. Auch Jailbreaks lösen das Problem nicht, weil diese Lösung für die meisten Nutzer nicht in Frage kommt.
Es bleibt abzuwarten, wie Apple in Zukunft neue Technologien in die eigenen Produkte integrieren wird. Wenn das Unternehmen nicht hinter die Konkurrenz zurückfallen will, kommt es wohl nicht darum herum, die Strukturen von iOS etwas zu öffnen.

Von Patrick Bieri
Veröffentlicht am

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3 Kommentare

Profilfoto von Stefan Rechsteiner

Kommentar von Stefan Rechsteiner

Ich finde es interessant das Elgan mit «Google Now» und «Google Glass» sowie «Facebook Home» ausgerechnet Beispiele nennt, die direkte Konkurrenz-Produkte zu Apple-Lösungen sind.

Das Google Now auf iOS keine derart tiefe OS-Integration erhält, wie es unter Android, Googles eigenem Betriebssystem, der Fall ist und deshalb nicht den gleichen Funktionsumfang hat, ist wohl klar. Google Now kann als direkter Konkurrent zu Apples Siri und diversen Diensten von iOS betrachtet werden. Mit den nächsten iOS-Updates dürfte Siri oder das System selbst bestimmt auch mit weiteren, Now-ähnlichen, Funktionen daherkommen. «Facebook Home» — ignorieren wir mal die mehrheitlich negativen Bewertungen dazu — ist eine Quasi-Übernahme eines Android-Telefons durch Facebook, dazu wird es (meiner Meinung nach) bei Apple bzw. iOS nie kommen … es sei denn im Apple-Management wird ein kapitaler Fehler begangen und man handelt da was mit Facebook aus. Das «Google Glass», ein auf Android-basierendes Gerät vom Android-Hersteller Google, bei der Benutzung mit ein einem fremd-System wie iOS (und anderen) nicht die vollständige Funktionsbreite bietet, leutchtet wohl auch ein — dass liegt wohl aber nicht nur an den Restriktionen seitens Apple.

Schlussendlich ist es die alte Diskussion, ob der ‘geschlossene’ Weg von iOS der Richtige ist oder eben der mehr oder weniger ‘offene’ Weg von Android… Da kommen aber noch viel mehr Faktoren dazu als die von Elgan genannten.

Ich für meinen Teil bin froh darüber, das iOS ein geschlossenes System ist und deshalb kein Wildwuchs stattfindet. Klar haben beide Prinzipien Vor- und Nachteile. Persönlich bin ich überzeugt, dass die Vorteile beim geschlossenen System überwiegen — der hohe Standard bei iOS ist wohl das beste Beispiel für diese These.

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Kommentar von gentux

@Lonely Loon aber gerade der Erfolg gibt Apple recht. OS X ist zwar ziemlich offen aber Angriffe mit Social Engineering und/oder gezielte Angriffe auf Netzwerke sind kaum ein Problem für Kriminelle. Ich glaube nicht, dass es unter OS X ohne Weiteres möglich ist Schadsoftware unbemerkt zu verteilen aber iPhones sollten anders benutzt werden, dort evaluiere ich nicht verschiedene Lösungen und habe nicht die Muse die Software vorher zu prüfen.

Alles andere gab es vorher schon und nannten sich Windows Mobile, Symbian oder (begrenzt anwendbar) Palm OS und die haben genau das nicht berücksichtigt. Da gab es handago und einige andere Anbieter von “Apps” aber man hatte ein ähnliches Prozedere wie bei Desktop-Software. Den SBB-Fahrplan für Windows Mobile musste man damals am Windows-PC (natürlich kein Mac-Support für ActiveSync) auf das Gerät installieren.

Ich denke aber, dass längerfristig wirklich offene Lösungen mehr Zukunftsperspektiven haben, weil sie anderen ermöglichen Nischen zu schliessen, die der “Herrscher des geschlossenen Systems” nicht bedienen, zum Beispiel das FairPhone http://www.fairphone.com das heisst natürlich nicht, dass Apple jetzt einbricht und alle auf Android wechseln (ich bin übrigens der Meinung, dass Android auch nicht wirklich offen ist, sonst hätte Acer sein OS machen dürfen http://arstechnica.com/gadgets/2012/09/google-blocked-acers-rival-phone-to-prevent-android-fragmentation/), sondern denke, dass es mehr Wachstumspotenzial mit offenen Systemen gibt.

Das Problem bei den wirklich offenen Systemen ist hingegen, dass viel Arbeit von denen gemacht werden muss, die letztlich nicht davon profitieren können oder wenn jemand profitieren könnte, würde sich eine Verschiebung der Interessen negativ auswirken wie bei Android (Google möchte keine Fragmentierung, Hersteller wollen keine hohen Kosten, Carrier wollen Customizing und eine breite Palette).

Aber das ist auch alles Ansichtssache.

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