Final Cut Pro X: Lässt Apple die Professionals im Stich?

«Final Cut Pro X ist der grösste Fortschritt im professionellen Videoschnitt seit der ersten Version von Final Cut Pro. Wir haben es den weltbesten professionellen Cuttern gezeigt und ihnen ist die Kinnlade heruntergefallen.» Dies sind die Worte, mit denen Apple letzte Woche den von vielen Profis sehnlichst erwarteten Verkaufsstart von Final Cut Pro X bekannt gab. Wie üblich geizte Cupertino nicht mit Superlativen, um die neue Software zu bewerben. Es dauerte nicht lange, da fanden auch die Video-Profis klare Worte für Apples jüngsten Wurf. Stellvertretend hierfür zitiere ich aus dem Creative COW Magazine den abschliessenden Satz des Final-Cut-Pro-X-Reviews von Walter Biscardi, einem FCP-Anwender der allerersten Stunde: «But for now let me just say, Goodbye Final Cut Pro and Thanks for all the Fish.» Dieses vernichtende Urteil steht stellvertretend für die Reaktionen tausender Videoprofis und überzeugten FCP-Anwendern. Im Mac App Store strafte fast jeder zweite Tester Final Cut Pro X mit der Minimalbewertung von einem einzigen von fünf möglichen Sternen ab. In den elf Jahren seit seiner Markteinführung war Final Cut Pro eine Erfolgsgeschichte wie aus dem Bilderbuch. Die bis anhin aktuellste Version, Final Cut Pro 7, wird von über einer Million Kunden für alle möglichen Anwendungen eingesetzt und besitzt im professionellen Umfeld einen Marktanteil von 54 Prozent. Und nun, nachdem Apple mehr Ressourcen in die Entwicklung einer neuen Version von Final Cut Pro investiert hat als je zuvor, soll die viel gerühmte Software auf einen Schlag nichts mehr taugen? Wie lässt sich dies erklären?

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Final Cut Pro X aus der Perspektive der Profis

Ich selbst verstehe kaum etwas von professioneller Videobearbeitung und habe noch nie mit Final Cut Pro gearbeitet. Doch die Gründe, weshalb viele Profis für Final Cut Pro X nicht viel mehr als Spott übrig haben, erschliessen sich selbst einem Laien wie mir.

Apples professionelle Kundschaft vermisst eine ganze Reihe an Funktionen, welche erstens in den bisherigen Final-Cut-Pro-Versionen schon seit Jahren integriert waren und zweitens für den Profi-Alltag unerlässlich sind. Kritisiert werden unter anderem fehlende Unterstützung für Ausgabe auf Tape, fehlende Codecs, fehlende Schnittstellen zur Weiterbearbeitung von Projekten auf anderen Rechnern oder in anderen Programmen, mangelnde Hardwareunterstützung und vor allem die vollständige Inkompatibilität von Final Cut Pro X zu sämtlichen Vorgängerversionen.

Wer mit Final Cut Pro bereits vertraut ist, kann mit Version X nochmals von vorne anfangen. Bestehende Workflows sind auf einen Schlag hinfällig und sämtliche Investitionen in die Software sind wertlos geworden. Die neue Version bietet mehr Nach- als Vorteile und es ist nicht ersichtlich, wie Apple sich einen reibungslosen Übergang vorstellt.

Die Vorgehensweise Apples ist aus drei Gründen stossend. Erstens gibt es keinen Grund, sämtliche bewährten Konzepte von Final Cut Pro über den Haufen zu werfen. Dass das Programm einer Überarbeitung bedurfte, steht ausser Frage, eine weniger radikale Umgestaltung wäre aber zweckdienlicher gewesen. Zweitens schert sich Apple offenbar nicht um seine Kunden aus dem Profi-Lager. Wer in der Vergangenheit voll und ganz auf Final Cut gesetzt hat, wird durch den Umstieg auf Final Cut Pro X am meisten bestraft. Drittens lässt Apples Kommunikation einmal mehr zu wünschen übrig. Fragwürdige Änderungen an der Software werden nicht begründet und eine Roadmap betreffend Apples Zukunftsplänen mit der Final-Cut-Suite existiert erst recht nicht.

Final Cut Pro X aus der Perspektive Apples

Diese Vorwürfe sind allesamt berechtigt. Und es gibt Nichts, das sie in irgendeiner Weise entkräftigen würde. Final Cut Pro ist, in der Form, in der es unzählige User in den vergangenen elf Jahren kennen und lieben gelernt haben, tot, mausetot. Letzten Dienstag hat Apple seine Flaggschiff-Videosoftware beerdigt.

Doch dies ist nur die halbe Geschichte. David Pogue von der New York Times veröffentlichte sein Review über Final Cut Pro X unter der Überschrift «Apples Final Cut ist tot. Lang lebe Final Cut.» und bringt damit die Geschichte auf den Punkt. Aus Apples Perspektive ist Final Cut Pro nicht tot, sondern endlich wieder mit frischen Lebensgeistern gesegnet.

Sahen Anwender in Final Cut Pro 7 in erster Linie ein Tool, mit dem sie ihr Geld verdienen, so sah Apple darin eine Software, deren technisches Fundament veraltet war. Final Cut Pro entwickelte sich zu einer Plattform, die Apples eigenen Ansprüchen mehr und mehr nicht mehr gerecht wurde.
Es ist vergleichbar mit dem Wechsel von OS 9 auf OS X vor zehn Jahren. Mac OS 9 besass eine treue und überzeugte Anwenderschar und trotzdem liess Apple die Plattform sterben. OS 9 wurde durch ein Betriebssystem ersetzt, welches kaum Drittanbieter-Hardware und -Programme unterstützte, unzählige Funktionen vermissen liess und praktisch vollständig inkompatibel mit früheren Mac-OS-Versionen war.

Doch Apple hatte eine klare Vorstellung davon, wie der Mac der Zukunft aussehen sollte. Und die Mac-Company stellte sich der Realität, dass sich diese Pläne mit dem Grundgerüst des klassischen Mac OS nie würden erreichen lassen. Es ist einer der Kernpunkte in Apples Entwicklungsphilosophie, dass sich Neues nur erschaffen lässt, wenn man bereit ist, alte Produkte unsanft sterben zu lassen. Apples Vergangenheit ist voll von entsprechenden Beispielen.

Apple hat Final Cut Pro X entwickelt, weil Apple ein grosses Potenzial in dieser Software zu sehen glaubt. Ob das Programm längerfristig an die Erfolge seiner Vorgänger anknüpfen kann, wird sich weisen müssen. Apple scheint auf jeden Fall daran zu glauben. Und es ist zentral, zu verstehen, dass es aus Apples Perspektive völlig irrelevant ist, welche Features in der aktuellen Fassung von Final Cut Pro X noch fehlen. Fehlende Funktionen können nachgereicht werden, die Unterstützung von Drittanbieter-Produkten wird sich laufend verbessern. Viel entscheidender ist, welche Chancen die Software für die Zukunft bietet. Apple hat brutal viel investiert in die komplett neue AV Foundation, welche mit QuickTime X auf dem Mac Einzug hielt und das Herzstück der neuen Final-Cut-Software bildet. Final Cut X nutzt alles, was Apple über die letzten Jahre an moderner Technologie für Mac-Software entwickelt hat: OpenCL, Grand Central Dispatch, neue QuickTime-APIs, leistungsfähige Core-Services und natürlich das 64-Bit-Cocoa-Framework. Die Wurzeln von Final Cut Pro 7 reichen hingegen noch in die OS-9-Zeit zurück, später wurde die Software erst für OS X, dann auch für Intel-Prozessoren angepasst. Doch alle Änderungen konnten zuletzt nicht mehr darüber hinwegtäuschen, dass allmählich das Ende der Fahnenstange erreicht war. Final Cut Pro 7 basiert voll und ganz auf dem Carbon-Framework, einem Set an Programmierschnittstellen, die weitgehend auf die Zeit des klassischen Mac-Systems zurückgehen und keine Zukunft mehr haben. Carbon-Programme können beispielsweise nur als 32-Bit-Anwendungen ausgeführt werden. Aus Apples Perspektive war es an der Zeit, einen Schnitt zu machen und die alte Final-Cut-Software sterben zu lassen.

Diese Sichtweise mag für Professionals einem Schlag ins Gesicht gleichkommen, aus Apples Perspektive erscheint der Schritt jedoch vollkommen logisch. Seit Jahren lässt Apple keine Gelegenheit aus, um Mac-Entwickler davon zu überzeugen, ihre Programme auf Basis des 64-Bit-Cocoa-Frameworks neu zu schreiben. Doch wie könnte Apple diesen Schritt von Drittanbietern erwarten, wenn man nicht endlich die eigenen Pro Apps entsprechend anpassen würde?

Die entscheidende Frage

Ich glaube, dass es bei Final Cut Pro X nicht in erster Linie darum geht, bestehende Final-Cut-Anwender zu begeistern. Es geht darum, die Software-Entwickler und die Drittanbieter zu überzeugen. Final Cut Pro X soll zeigen, wozu moderne Mac-Software im Stande ist. Und zumindest zwischen den Zeilen kam bisher aus praktisch jedem Review der neuen Software hervor, dass Apples jüngster Wurf stellenweise durchaus Anlass zum Staunen gibt. Da wäre beispielsweise die atemberaubende Geschwindigkeit, mit der Final Cut Pro X sämtliches Material im Hintergrund rendert.

Um nochmals die Parallele zum OS-X-Switch aufzugreifen: Nachdem Apple die erste Fassung von OS X auf den Markt gebracht hatte, benötigten viele Anwender einige Zeit, um sich vom ersten Schock zu erholen. Doch schon nach wenigen Jahren weinte kaum mehr jemand dem alten OS auch nur eine Träne nach. So ähnlich könnte es sich auch mit Final Cut verhalten. Dann nämlich, wenn Apple die Entwicklung seiner Videobearbeitungssoftware wie versprochen mit voller Kraft weiter vorantreibt. Es werden sich nicht alle Klippen umschiffen lassen, aber mich würde es nicht überraschen, wenn sich schon in rund einem Jahr die überwiegende Anzahl der aktuellen Kritikpunkte in Luft aufgelöst hätte.

Für Apple, und letztlich auch für die Professionals, lautet die entscheidende Frage nicht, wie gut Final Cut Pro X nun wirklich ist. Entscheidend ist vielmehr die Frage, wie gut Final Cut Pro X in ein, zwei oder drei Jahren sein wird. Das ist die einzige Perspektive, die wirklich zählt. In meinen Augen spricht einiges dafür, dass Apple es schaffen wird, mit Final Cut Pro auch in Zukunft die professionelle Kundschaft zu begeistern. Erstens steht Final Cut Pro auf einem top modernen technischen Fundament, welches die Weiterentwicklung erheblich vereinfachen wird. Zweitens lässt sich nicht leugnen, dass Apple immense Anstrengungen unternommen hat, um dieses Fundament wirklich von Grund auf zu erneuern - Vorwürfe, wonach Apple das Profi-Geschäft aus dem Auge verloren habe, sind vor diesem Hintergrund schlicht und ergreifend haltlos. Es ist sicher nicht falsch, Apple in diesem Punkt ein wenig Vertrauen entgegen zu bringen. Drittens spricht vieles dafür, dass die wichtigsten Drittanbieter sehr schnell Schnittstellen für Final Cut Pro X entwickeln werden. Denn wer auf die fehlenden Features nicht angewiesen ist, erhält mit Final Cut Pro X schon jetzt ein äusserst leistungsfähiges und extrem preisgünstiges Tool zur Videobearbeitung. Final Cut Pro X wird schon sehr bald eine grosse Anwenderbasis aufweisen und damit für Drittanbieter erst recht attraktiv sein.

Schon immer bestand zwischen Apple und den Professionals eine Art Hassliebe. Wie keine zweite Firma erschafft Apple Produkte, mit denen sich Kreative begeistern lassen. Vielen heutigen Final-Cut-Profis hat Apples Software erst den Einstieg in die Welt der professionellen Videobearbeitung ermöglicht. Gleichzeitig lässt sich Apple aber auch wie keine zweite Firma von der eigenen Sturheit lenken. Ist Apple von einer Idee oder einer Entwicklungsrichtung überzeugt, dann schert sich Cupertino nicht um die Meinung der Anwender, Profis hin oder her. Begeisterungsstürme und abgrundtiefe Enttäuschung liegen bei Apple oft nahe beisammen.
Aus Sicht der Profis ist es sicher die beste Idee, die Entwicklung von Final Cut Pro X mit einer gewissen Portion Gelassenheit zu beobachten. Wer Lust hat, bereits heute einen Blick auf Apples Videobearbeitungslösung der nächsten Generation zu werfen, kann dies tun, ohne viel Geld in die Hand nehmen zu müssen. Bis sich ein Umstieg aufdrängt, wird noch einige Zeit ins Land ziehen. In der Zwischenzeit steht mit Final Cut Pro 7 nach wie vor ein ausgereiftes Werkzeug zur Verfügung, welches noch nicht mal ganz zwei Jahre auf dem Buckel hat und sicher nicht auf einen Schlag nutzlos geworden ist. Und sollte sich Final Cut Pro X tatsächlich als Sackgasse erweisen, so ist es Apple zumindest hoch anzurechnen, dass sie mit dem Siegeszug der Final-Cut-Suite die Konkurrenz von Adobe und Avid aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt haben. Wer mit Final Cut nicht mehr glücklich wird, findet auf der Mac-Plattform unterdessen gleich zwei durchaus würdige Alternativen.

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8 Kommentare

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Kommentar von grandmasterflash

Ich habe bis anhin mit Adobe Premiere CS5 und mit Final Cut Pro 7 gearbeitet. Am Wochenende habe ich einen ersten Kurzfilm mit Final Cut X geschnitten. Der Geschwindigkeitszuwachs liegt nicht nur bei ein paar Prozenten, sondern ist wirklich enorm. Das HD Filmmaterial (1920 x 1080 @ 23.98fps) musste nicht mal in Prores konvertiert werden.  Bei der neuen Software fehlen ganz klar einige sehr wichtige Funktionen, die hoffentlich bald nachgereicht werden. Doch Fotografen und DoFs, die in der Werbung und Mode tätig sind, werden gefallen an der neuen Software finden.
Vielleicht passiert jetzt im Videoschnitt etwas ähnliches wie vor ein paar Jahren mit der Bildretusche für Fotografie: Arbeiten, die man früher “von Hand” machen musste, konnten mit der neuen Photoshop-Version auf einmal sehr viel einfacher und schneller erledigt werden. Es brauchte weniger Retuscheure und die Preise für Bildretusche halbierten sich. Das passte den Profis natürlich überhaupt nicht. Ich kann mir gut vorstellen dass sich auch der eine oder andere Cutter bald warm anziehen muss.

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