Wenn Steve kränkelt…

Knapp eineinhalb Jahre nach seiner erfolgreichen Lebertransplantation musste Steve Jobs diese Woche erneut eine krankheitsbedingte Auszeit von unbestimmter Dauer bekannt geben. Es ist bereits das dritte Mal seit 2004, dass Apples Leitwolf aus gesundheitlichen Gründen kürzer treten muss. Woran genau Steve Jobs diesmal leidet, ist offiziell nicht bekannt. Sollte es sich um eine ernsthafte Krankheit handeln - was durchaus wahrscheinlich ist- dann werden wir es früher oder später mit Sicherheit erfahren. Deshalb ist es zwecklos, hier und heute bereits über Details seiner Erkrankung zu spekulieren. Doch eines ist klar. Der Tag wird kommen, an dem Steve Jobs seinen Sessel bei Apple räumen wird. Nächsten Monat wird Steve 56 Jahre alt. Bei guter Gesundheit würde kaum etwas dagegen sprechen, dass er Apples Zügel noch für einige Jahre in seinen Händen hält. Doch das Fragezeichen hinter Steves Gesundheitszustand ist mit der jüngsten Ankündigung ganz sicher nicht kleiner geworden. In diesem Kommentar soll es nicht um Steve Jobs Gesundheit gehen. Ich möchte den Apple-Chef auch ganz sicher nicht abschreiben. Wie es wirklich um ihn steht, weiss ausserhalb Apples und Steve Jobs’ Familienkreis ohnehin niemand. Aber ich möchte die Ankündigung um Jobs erneute gesundheitlich bedingte Auszeit zum Anlass nehmen, um die Frage zu diskutieren, welche Bedeutung Apples Gründer für sein Unternehmen hat und wie Apple ohne Steve funktionieren könnte. Denn völlig unabhängig von der Frage nach Jobs aktuellem Gesundheitszustand wird der Zeitpunkt unweigerlich kommen, an dem Apple ohne jenen Mann auskommen muss, der das Unternehmen vor beinahe 35 Jahren gegründet hatte.

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Vor zwei Jahren erschien auf der Webseite des renommierten Nachrichtenportals Bloomberg ein siebzehnseitiger Nachruf auf Steve Jobs. Die Publikation der Meldung war ein Versehen, der Nachruf wurde innert dreissig Sekunden wieder zurückgezogen. Doch dreissig Sekunden genügten, damit die Welt den Atem anhielt. Ein toter Steve Jobs? Apple ohne Steve Jobs? Völlig unvorstellbare Gedanken! Dreissig Sekunden genügten, um der Welt vor Augen zu führen, dass das Unvorstellbare nicht zwingend auch unerwartet eintreten muss.

Wenn Steve kränkelt, dann blutet Apple. Da mag es Apple wirtschaftlich noch so gut gehen, die Frage nach Jobs’ Gesundheitszustand wirft einen dunklen Schatten auf die ansonsten so heile Apple-Welt. Im Apple-Universum ist Steve Jobs Schöpfer und Messias zugleich, er ist Apple in Fleisch und Blut, oder - wie es Wolf Lotter und Steffan Heuer schon vor Jahren in ihrem brillanten Kurzporträt zum Ausdruck brachten - die Inkarnation des Silicon Valley. 

Viele Beobachter attestieren Apple, nur ungenügend auf den Fall vorbereitet zu sein, dass Steve Jobs sein Amt als Apple-Chef eines Tages nicht mehr ausführen könnte. In Zeiten der Ungewissheit erscheint dieser Vorwurf naheliegend, doch er gibt nur eine Seite der Medaille wieder. Steve Jobs bildet das Herz von Apple. Wer bei jeder Erfolgsmeldung aus Cupertino Steves einzigartige Verdienste ausdrücklich betont und würdigt, kann nicht im gleichen Atemzug anprangern, dass bei Apple sämtliche Strukturen voll und ganz auf Jobs ausgerichtet seien.

Steve Jobs besitzt bei Apple die volle Kontrolle selbst über Bereiche, mit denen sich der Chef einer Milliardenfirma üblicherweise gar nicht abgeben muss. Erst diese uneingeschränkte Macht hat es Steve ermöglicht, Apple voll und ganz seinen Visionen entsprechend zu gestalten. Vor 25 Jahren hatte Jobs erfahren müssen, was es bedeutet, in seinem eigenen Unternehmen nicht die volle Kontrolle zu besitzen. Als er Jahre später zu Apple zurückkehrte, wollte er einen Fehler kein zweites Mal begehen. Nämlich den Fehler, einer anderen Person neben sich zu viel Macht einzuräumen.

Reduziert man Apple auf rein wirtschaftliche Aspekte, so könnte sicher auch ein anderer Manager das Unternehmen ebenso gut und vielleicht sogar noch eine Spur besser führen als Jobs. John Sculley schaffte dies über viele Jahre hinweg ganz ausgezeichnet. Leider wird man Apple mit diesem Betrachtungswinkel nicht gerecht. Das System Apple liess sich noch nie rein rational erfassen. Würde sich Apple an die Gesetze der Wirtschaft halten und Apples Führung den Argumenten der Logik folgen, so wäre die Apfel-Company schon mindestens drei Mal bankrott gegangen.
Schon immer sah sich Apple als etwas Besonderes. Apple hat Gefühle und Emotionen in die von abstrakter Technologie dominierte Computerwelt gebracht. Elektronische Geräte, die so kompliziert sind, dass kaum ein Anwender ihre Funktionsweise versteht, erhielten durch Apple ein Gesicht. Geht es bei Microsoft, bei Google, bei Sony, Samsung oder IBM vornehmlich um Technologie, so geht es bei Apple fast immer um Gefühle. Apples Produkte werden gekauft, weil es Apple-Produkte sind. Apple ist die einzige Marke, welche die Elektronikindustrie je hervorgebracht hat.

Steve Jobs ist ein Querkopf. Er hört nicht auf die Ratschläge von Wirtschaftsfachleuten und Marketingberatern. Letzten Herbst räumte Apple die gesamte Startseite auf apple.com für die Ankündigung, sämtliche Beatles-Alben in den iTunes-Katalog aufgenommen zu haben. Für diese Neuerung hatte Apple keinerlei Entwicklungsarbeit leisten müssen, sie ist ohne jede technologische Relevanz. In der ersten Woche nahm Apple durch die Beatles-Verkäufe täglich rund eine Million Dollar ein. Allein mit dem iPhone setzt Apple täglich 115 Millionen um, also etwa alle zwölf Minuten eine Million. Auch wirtschaftlich war die Beatles-Ankündigung für Apple völlig unbedeutend. Wozu dann das ganze Spektakel? Es ist schlicht eine Frage der Gefühle. Steve Jobs - und damit auch Apple - ist stolz darauf, eine der grössten Bands der Geschichte endlich im iTunes-Sortiment zu haben. Und diesen Stolz, diese Freude wollte Apple zum Ausdruck bringen. Apple hat diese Ankündigung grösser aufgezogen als die Vorschau auf die nächste grosse OS-X-Version, welche ebenfalls im vergangenen Herbst angekündigt wurde. OS X bildet nichts anderes als das Softwarefundament aller Macs, iPhones und iPads. Dutzende Entwicklerteams arbeiten an Apples Betriebssystem und den Technologien, auf denen das OS aufbaut.
Steve Jobs ist eine vollkommen unbedeutende Beatles-Ankündigung mehr Schlagzeilen wert als die Fortschritte bei einem der, wenn nicht dem wichtigsten Produkt des ganzen Unternehmens. Welche andere Firma würde sich je so verhalten? Braucht es noch mehr Worte, um das System Steve Jobs zu verstehen? Braucht es noch mehr Worte, um zu beschreiben, was Apple so besonders macht?

Apple hat ganz sicher einen Plan in der Schublade, wie es ohne Steve Jobs weiter gehen würde. Nur verhält sich Cupertino in dieser Frage genau gleich wie in allen anderen auch: Interne Pläne werden gegen aussen nicht kommuniziert. Vor einem Monat ernannte die Financial Times den Apple-Gründer zur Person des Jahres 2010, zuvor zeichnete ihn das Fortune Magazine bereits als CEO des Jahrzehnts aus. Eine der wichtigsten Aufgaben eines Unternehmensleiters dürfte es sein, einen Stab aus fähigen Mitstreitern um sich herum aufzustellen. Steve Jobs ist nicht zuletzt deshalb so erfolgreich, weil er genau dies bei Apple umgesetzt hat. Ich habe keine Zweifel, dass Tim Cook Apples Geschäfte während Steves Abwesenheit mühe- und makellos leiten wird. Dass er dies kann, hat er bereits vor zwei Jahren unter Beweis gestellt. Auch wenn Steve Jobs fast immer alleine im Rampenlicht steht, besitzt Apple mit Sicherheit sowohl in der Entwicklung als auch im Management auf sämtlichen Schlüsselebenen eine ganze Reihe an brillanten Köpfen.

Würde Steve Jobs heute tot umfallen, Apple würde weiter funktionieren. Apple besässe noch immer hervorragende Produkte, eine treue Anhängerschaft und jede Menge fähiger Entwickler. Aber Apple würde mit Steve Jobs die Verkörperung seines Andersseins verlieren. Denn in den Augen zu vieler Menschen ist Apple untrennbar mit der Figur Steve Jobs verbunden.

Apple könnte ohne Steve Jobs ganz sicher erfolgreich sein. Google, Microsoft und viele andere sind es schliesslich auch. Wahrscheinlich würde Apple wie alle anderen Unternehmen damit beginnen, die eigenen Technologien mehr in den Vordergrund zu stellen und dadurch einen Teil seines Andersseins aufgeben. Aus wirtschaftlicher Sicht muss dies jedoch kein Nachteil sein.
Für Apple besteht in meinen Augen die grösste Gefahr darin, dass Steve Jobs durch seine angeschlagene Gesundheit gezwungen sein könnte, das Unternehmen zu einem höchst ungünstigen Zeitpunkt zu verlassen. Das mag nun paradox klingen, aber die aktuellen Erfolge Apples stellen Jobs’ Ersatzleute unter eine Erwartungshaltung, der Apple - mit oder ohne Jobs - längerfristig nie und nimmer gerecht werden kann. Derzeit wächst Apple so schnell, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis das Wachstum mehr oder weniger plötzlich zusammenbrechen wird. Unterdessen hat sich nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die Wall Street daran gewöhnt, dass Apple den Unternehmensgewinn im 15-Monate-Rhythmus verdoppelt. Man mag sich darüber streiten, ob dies eine gesunde Entwicklung ist oder nicht. Aber es ist eine mathematische Gewissheit, dass diese Entwicklung nicht ewig so weiter gehen kann. Die Kurse von Apples Anteilsscheinen haben Werte erreicht, die nach unten unterdessen wesentlich mehr Luft lassen als nach oben.
Der Zeitpunkt, an dem Apple ohne Steve Jobs auskommen muss, wird kommen. Wann er kommt, wissen wir nicht. Aber es wäre Apple zu wünschen, den Führungswechsel zu einem wirtschaftlich ruhigeren Zeitpunkt vollziehen zu können.

Als Google diese Woche bekannt gab, Larry Page werde Eric Schmidt als CEO ablösen, kramten zahlreiche Medien eine alte Geschichte aus Pages Studienzeit hervor, um den Google-Gründer zu beschreiben. Über Larry Page wird erzählt, er habe als Student einst einen Tintenstrahldrucker aus Legosteinen konstruiert.
Von John Sculley, also jenem Mann, der Steve Jobs einst bei Apple beerbte, ist überliefert, er habe als 14-jähriger Teenager einst ein neuartiges Funktionsprinzip für TV-Bildröhren entwickelt.
Was hat Steve Jobs vorzuweisen? Als er in jungen Jahren den Auftrag erhielt, den Bauplan für ein neues Atari-Spiel zu entwickeln, soll er hoffnungslos überfordert gewesen sein. Er liess seinen besten Kumpel vier Nächte am Stück durcharbeiten und bezahlte ihm anschliessend 350 Dollar für einen Entwurf, für den er selbst von Atari 5’000 Dollar eingestrichen hatte.

Brillante Techniker, gute Ingenieure und ausgezeichnete Manager gibt es wie Sand am Meer, Steve Jobs ist selbst im verrückten Silicon Valley ein Unikat. Hoffen wir, dass er Apple noch viele Jahre erhalten bleibt.

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2 Kommentare

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Kommentar von Vigi

Es gibt nicht nur Jobs Persönlichkeit, sondern auch eine Unternehmenskultur bei Apple. Die hat er natürlich sehr massgeblich geprägt, aber sie würde auch ohne Jobs weiterbestehen. Apple versucht ja u.a. immer, Technologien in dem Zeitpunkt zu lancieren, in dem sie auf dem aufsteigenden Ast sind, und das immer mit einem Produkt, das für die Leute Sinn macht. Wie sehr diese Kultur verankert ist, sieht man auf einen Blick, wenn man mit Microsoft vergleicht, wo ich nichts Vergleichbares erkennen kann.

Jobs ist von daher nicht unverzichtbar, die Kultur würde auch ohne ihn weiter gepflegt werden. Schwer zu ersetzen wäre er insofern, als er offenbar eine wahnsinnig gute Nase hat und die Nerven, ein Produkt nicht zu lancieren, bis er davon überzeugt ist und einen Anwendungsbereich dafür sieht (she. iPad). Das macht ihm so leicht keiner nach.

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