Die NeXT-Story

Verfasst im Juni 2005

Juni 1986: Endlich wusste Steve, wie sein neuer Computer aussehen würde!

Paul Rand hatte ihm soeben einen Entwurf vorgelegt. Fast ein ganzes Jahr lang hatte er auf diesen Augenblick gewartet. Er hatte IBM überzeugen müssen, Rand für ihn arbeiten zu lassen. Ausserdem hatte Rand 100’000 Dollar verlangt. 100’000 Dollar, für einen einzigen Entwurf! Im Voraus, versteht sich. Aber jetzt war er sich sicher, seine Geduld hatte sich gelohnt. Noch nie hatte er 100’000 Dollar so gut investiert. Er, Steve Jobs höchstpersönlich, der von Apple verstossen wurde. Nun konnte er seinen Blick kaum mehr von Rands Arbeit lösen, was er sah, faszinierte ihn. Paul Rand hatte zuvor schon das IBM-Logo kreiert. Doch vor seiner neuesten Schöpfung würden all die alten Werke verblassen.

Was Steve Jobs zu sehen bekam, sah aus wie ein grosser schwarzer Würfel. Auf der dem Betrachter zugewandten Seite standen vier farbige Buchstaben in schnörkelloser Schrift: Ein ‘N’, ein ‘e’, ein ‘X’ und ein ‘T’. NeXT. NeXT, das Nächste. So würde er seine neue Firma nennen, das wusste Jobs seit Monaten. Das Logo war perfekt, auch das wusste Jobs. Das herausstechende ‘e’ stand für ‘education’, ‘excellence’, ‘expertise’, ‘exceptional’, ‘excitement’ und ‘e=mc^2’. Das passte genau! Der Würfel als einfacher geometrischer Körper strahlte Schlichtheit, Perfektion, Eleganz und Macht aus. Der Würfel war ein Baustein; ein Baustein auf dem Weg zu hehren Zielen. Das Logo war perfekt, wahrhaftig. Nur leider hatte Steve ein Detail übersehen: Der stolze Würfel stand auf einer einzigen Ecke. Dadurch wirkte er zwar majestätisch und mächtig, doch irgendwann würde er unweigerlich das Gleichgewicht verlieren, umkippen, und auf dem Boden der Realität aufprallen.

Es sollte nur sechs Jahre dauern, bis der Würfel gefallen war.

Im September 1985 hatte Steve Jobs bei Apple sein Kündigungsschreiben eingereicht. Sein Abgang erfolgte nicht freiwillig, aber Jobs zog es vor, selbst zu springen, bevor er gestossen wurde. Damals war Jobs 30 Jahre alt, hinter ihm lag eine Bilderbuchkarriere. 1976 hatte er Apple gegründet, nur vier Jahre später führte er das Unternehmen an die Börse. Steve hatte John Sculley eingestellt, Steve hatte den Macintosh auf den Markt gebracht. Jeder im Lande kannte ihn. Er war ein ganz Grosser. Er hatte den Menschen den Computer gebracht, sein Gesicht strahlte von den Titelseiten der auflagenstärksten Magazine der Welt. Ein halbes Jahr vor seiner Kündigung war Apple in ernsthafte Probleme geschlittert, der Mac verkaufte sich weit schlechter als ursprünglich prognostiziert. Apples Vorstand geriet zur Überzeugung, dass Jobs dem Unternehmen schade. Apple musste die Interessen der Aktionäre bedienen, der charismatische Medienstar Jobs war dabei nur störend. Steve Jobs wollte grosse Taten vollbringen. Er wollte einen Flachbildschirm entwickeln und bat den Vorstand, 20 Millionen Dollar in dieses Forschungsprojekt zu investieren. Der Vorstand lehnte ab, er hatte kein Vertrauen mehr in Jobs.

Schnell war Jobs bewusst geworden, dass seine Zeit bei Apple abgelaufen war. Er hatte die Kontrolle über Apple verloren, er hatte keine Macht mehr. Bald wurde ihm klar, dass er eine neue Firma gründen würde. Die Firma erhielt den provokativen Namen ‘NeXT’. Vorerst nahm sich Steve Jobs eine Auszeit, er musste sich neu sammeln. Er bereiste verschiedene Länder, er suchte neue Ziele. Doch vor allem brauchte er einen Plan, um sich an Apple zu rächen. Er wollte der Welt zeigen, dass der Mac keine Eintagsfliege gewesen war. Sein Erfolg war kein Zufall, er konnte die Welt ein zweites Mal verändern. Und Apple wollte er beweisen, dass sein Rausschmiss ein Fehler gewesen war. Er würde einen besseren Computer als den Mac bauen, einen Computer, mit dem er Apple vom Erdboden fegen konnte.

NeXT Mitarbeiter der ersten Stunde
NeXT Mitarbeiter der ersten Stunde

Jobs gründete NeXT gemeinsam mit einer Reihe von ehemaligen Apple-Mitarbeitern. Mit von der Partie waren Rich Page, George Crow, Bud Tribble, Dan’ L Lewin und Susan Barnes. Einige der Gründer hatten zuvor bei Apple am ‘Big Mac’-Projekt gearbeitet. Ihr Ziel war die Entwicklung eines Computers gewesen, der eine Million Rechenoperationen pro Sekunde abarbeiten konnte und auf dem ein UNIX-System lief. Apple räumte dem Projekt höchste Priorität ein. Als Sculley realisierte, dass seine Angestellten zu NeXT überliefen, verklagte er Jobs’ neues Unternehmen. Doch schon bald wurde ihm die Lächerlichkeit seines Unterfangens bewusst. Wie sollte jemand eine Bedrohung für Apple darstellen, der nur wenige Wochen zuvor als inkompetent abgestempelt wurde? Sculley zog seine Klage still und heimlich zurück.

Unterdessen hatte sich NeXT in Jobs’ Villa in Woodside eingenistet. Einige Zeit später wurde der Firmensitz nach Palo Alto verlagert. Steve hatte entschieden, dass NeXT die Arbeit an einem Computer für das höhere Bildungswesen aufnehmen solle. Für das nötige Startkapital sorgte der Chef gleich selbst, indem er 7 Millionen Dollar in NeXT investierte. Damals besass Steve Jobs noch Apple-Aktien im Wert von 100 Millionen Dollar. Bis im Februar 1986 verkaufte Jobs jedoch sämtliche Aktien zu einem - wie sich im Nachhinein herausstellte - äusserst ungünstigen Kurs. Insgesamt erhielt er lediglich 70 Millionen Dollar für seine vier Millionen Anteilsscheine. Jobs gab an, er habe seine Aktien abgestossen, weil er kein Vertrauen mehr in die Apple-Führung besass. Einen einzigen Anteilsschein behielt Jobs, damit er die Jahresberichte von Apple weiterhin zugeschickt bekam.

NeXT stand von Beginn an im Blickpunkt der Öffentlichkeit. Steve Jobs kündigte an, seinen Computer spätestens im Frühjahr 1987 auf den Markt zu bringen. Und die Medien trauten es ihm durchaus zu, nach dem Mac einen weiteren Erfolg zu landen. Bereits 1985 veröffentlichte die Newsweek einen ausführlichen Bericht über NeXT. Jobs mochte es überhaupt nicht, alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Um einen Computer zu entwickeln, musste Jobs ein Team aus fähigen Mitarbeiten aufbauen. Er suchte nach Leuten, für die er selbst nicht eine Ikone war. Bei der Rekrutierung von neuen Mitarbeitern nutzte Jobs seine Bekanntheit gnadenlos aus. Seine Mitbegründer von NeXT hatten zuvor allesamt hohe Posten bei Apple innegehabt. Und trotzdem zögerten sie keine Sekunde, als Jobs ihnen eine neue Arbeit anbot, sie hatten blindes Vertrauen in Steves Fähigkeiten. Die meisten von ihnen waren erst 30 oder jünger, sie alle waren unglaublich talentiert und willensstark. Für Steve sollten nur die besten arbeiten. Jeder Bewerber wurde von Jobs persönlich beurteilt. Dabei spielte Steve mit seinem Charisma, er wirkte unglaublich verführerisch. Auf einmal wollte jeder in seiner Umgebung arbeiten. Jobs konnte es sich leisten, selbst Anfängerposten mit hoch qualifizierten Leuten zu besetzen.

Steve Jobs hatte eine Vision: Sein neuer Computer sollte das Bildungswesen revolutionieren. Seinen Angestellten bot er die verlockende Aussicht, ein Werkzeug für Studenten zu kreieren. Jeder, der an Jobs’ Mission teilnahm, konnte die Zukunft der Gesellschaft lenken. Mit ihrem Computer würde jeder Mensch Simulationen durchführen können, für die zuvor millionenteure Labors nötig waren! Doch bis es soweit war, bestand Jobs auf strikter Geheimhaltung. Im ganzen Silicon Valley begann man zu rätseln, woran genau Steve arbeitete.

Wir haben die Arbeit bei Jobs angenommen, weil wir das Bildungswesen revolutionieren wollten. Die Anfänge von NeXT hatten etwas von einer Mission und einem Kreuzzug. Es war so wie damals, als er den ersten Mac erfunden hat.

Allison Thomas, Beraterin

Hinter den Kulissen dauerte es einige Monate, bis die Arbeit am NeXT-Computer in Gang kam. Jobs wollte mit der konkreten Planung erst beginnen, als Apples Klage vom Tisch war. Erst im Februar 1986 zog Sculley die Klage endgültig zurück. In der Zwischenzeit beschäftigte sich Jobs mit dem Gedanken, wie er NeXT zu einem perfekten Unternehmen machen könnte. Verglichen mit der Anfangszeit bei Apple standen die Zeichen jetzt viel besser. NeXT verfügte über alle erdenklichen Ressourcen. Bei Apple hatte alles in einer Garage begonnen, NeXT hingegen stand von Beginn an eine moderne Infrastruktur zur Verfügung. Geld war im Überfluss vorhanden. Und genau das wurde Jobs zum Verhängnis.

Schon immer legte Steve Jobs grossen Wert auf Ästhetik. Bei der Entwicklung des Macs wurde viel Zeit in den Designprozess investiert. Auch als seine Mittel begrenzt waren, wollte Jobs stets nur Computer bauen, die schick aussahen. Steve hatte gelernt, sparsam zu sein und trotzdem keine Kompromisse bei der Entwicklung seiner Produkte einzugehen. Das stellte ihn bei NeXT plötzlich vor Probleme. Auf einmal war Geld kein Thema mehr. Steve fiel es unglaublich schwer, zu entscheiden, für was er sein Geld ausgeben wollte. Er dachte, dass der NeXT-Computer noch viel besser aussehen müsse als der Macintosh. Bei NeXT sollte alles perfekt sein: die Bürogebäude, die Einrichtung, die Fabrik. Nur wenn seine Mitarbeiter in einer perfekten Umgebung arbeiten könnten, würden sie in der Lage sein, all ihre kreativen Kräfte freizusetzen.
Ein Jahr nach der Gründung beschäftigte NeXT bereits 200 Angestellte. NeXT war noch immer weit von der Produktion eines Computers entfernt. Bisher hatte NeXT erst ein Produkt entwickelt, von dessen Existenz niemand ausserhalb der Firma Bescheid wusste: Einen Monitorsockel. Einen verstellbaren Monitorsockel. Einen Monitorsockel, auf den Steve unglaublich stolz war. Schliesslich war es der beste Monitorsockel der Welt!
Steve Jobs war extrem stark auf jedes Detail fokussiert, er schraubte die Zielsetzungen immer höher. Dadurch fiel die Entwicklung des NeXT-Computers immer weiter hinter den ursprünglichen Zeitplan zurück. NeXT wurde zu einer riesigen Geldvernichtungsmaschine. Nach weniger als einem Jahr war das komplette Startkapital aufgebraucht. Ursprünglich wollte Steve Jobs NeXT alleine finanzieren, doch er begriff, dass ein unabhängiger Investor der Firma mehr Glaubwürdigkeit verleihen würde. Nachdem er sich mit mehreren Risikokapitalgebern unterhalten hatte, war er bereit, für drei Millionen Dollar eine zehnprozentige Beteiligung an NeXT zu verkaufen. Trotzdem fand Jobs keine Interessenten, die Investoren hielten den Preis für viel zu hoch, schliesslich war NeXT ein Startup-Unternehmen, das noch kein einziges Produkt auf dem Markt hatte.
Zufälligerweise sah im November 1986 der texanische Unternehmer Henry Ross Perot im Fernsehen eine Kurzdokumentation über NeXT. Er war so begeistert von dem Bericht und von Jobs’ Persönlichkeit, dass er Jobs unverzüglich anrief und dabei sagte: «Wenn sie je einen Investor brauchen, rufen Sie mich an.» Steve Jobs wusste, dass Ross Perot genau der richtige Geldgeber für NeXT sein würde. Er liess eine Woche verstreichen, ehe er Perot eine Beteiligung an NeXT anbot. Perot besichtigte im Januar die noch leer stehende NeXT-Fabrik und war von der Firma und insbesondere von den dahinter stehenden Köpfen tief beeindruckt. Im Februar 1987 kam der Deal schlussendlich zu Stande. Jobs hatte Perot 16 Prozent der Anteile an NeXT für den völlig überrissenen Preis von 20 Millionen angeboten. Perot hatte akzeptiert, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken.

Steve Jobs besass eine ganz spezielle Art, mit seinen Angestellten umzugehen. Für ihn war NeXT gleichzeitig sein Leben, seine Berufung und sein Schicksal. Und diese Einstellung forderte er auch von seinen Mitarbeitern. Die Mitarbeiter, die Jobs umgaben, verfügten über weit bessere technische Kenntnisse als ihr Chef. Dennoch kam es immer wieder vor, dass Steve Jobs bei einem seiner Rundgänge durch die Büros einem hohen Angestellten über die Schulter sah und zu dessen Arbeit in furchterregendem Tonfall sagte: «Das ist Mist!» Für Steve Jobs war es unverständlich und gleichzeitig unglaublich frustrierend, wenn seine Mitmenschen seinen Perfektionismus und seine Visionen nicht verstanden oder nicht umsetzen wollten.
Steve war ein Tyrann, er war arrogant, frech und unverschämt, doch seine unverblümten Aussagen und Befehle trieben seine Mitarbeiter zu Höchstleistungen. Für Steve zu arbeiten war unglaublich anstrengend. Eines Tages im Herbst 1986 informierte Jobs zahlreiche Angestellte darüber, dass sie von diesem Tag an bis Weihnachten alle Wochenenden durcharbeiten und auch an den Abenden länger in der Firma bleiben müssten. Das waren Zustände, wie sie 1983 im Mac-Team bei Apple geherrscht hatten.

In der Zeit, in der sich NeXT noch in der Aufbauphase befand, ging es mit Apple wieder aufwärts. Der Macintosh hatte die Revolution des Desktop Publishing ausgelöst. Auf einmal war es möglich, aufwändig gestaltete Zeitschriften und Broschüren am Computer zu erstellen. Jobs war einer der Hauptverantwortlichen für diesen Erfolg, das erfüllte ihn mit Stolz. Insgeheim wünschte sich Steve, eines Tages zu Apple zurückzukehren. In seinem Innersten spürte Jobs, dass sein Herz noch immer an Apple hing. Gleichzeitig war Steve auch mit der Situation in seinem Privatleben unglücklich. Zu vielen seiner ehemaligen Freunde aus der Apple-Familie hatte er keinen Kontakt mehr. Das alles führte dazu, dass er sich noch mehr in seine Arbeit stürzte und dass sein stetig gesteigerter Perfektionismus nahezu selbstzerstörerische Züge annahm. Jobs hatte sich das Ziel gesteckt, mit einem neuen, grossartigen Computer Apple zu besiegen. Doch die Tatsache, dass Apple in den späten 80er-Jahren eine sehr erfolgreiche Periode durchlebte, erhöhte den Druck auf NeXT ungemein. Sein neuer Computer musste eine Bombe werden; mindestens.

Erster NeXT Computer
Erster NeXT Computer

Schwarz sah er aus. Schwarz und bedrohlich. Genauso wie der Würfel auf dem Emblem der Firma. Erst im Sommer 1988 war er fertig geworden, der erste Prototyp des NeXTcube, dem ersten Computer aus dem Hause NeXT. Die gesamte Technik war untergebracht in einem mattschwarzen Magnesium-Hexaeder. Alles wirkte abstrakt und extravagant. Und auch die anstehende Präsentation sollte dem Produkt in Nichts nachstehen. Steve Jobs hatte die Davies Symphony Hall als Geburtsort für den NeXT-Computer bestimmt. Der Raum bot eine hervorragende Akustik, sodass die Stereo-Qualitäten des Rechners voll zur Geltung kommen konnten. Für seine dreistündige Rede erhielt Steve Jobs ein gewaltiges Medienecho, der Rummel um den NeXT-Computer war grösser als bei der Einführung des IBM PCs oder des Macintoshs.

Wir bekommen unsere Rache. Wir zeigen ihnen, wohin der Hase läuft.

Steve Jobs über Apple in einer Rede an seine Angestellten am Vorabend der Präsentation

NeXT kündigte an, den Computer ausschliesslich an Universitäten und Colleges zu verkaufen. Dort konnten Studenten das Gerät für 6’500 Dollar erwerben. Zusammen mit einem Laserdrucker und dem passenden 17-Zoll-Bildschirm kostete der Computer über 10’000 Dollar. Zweifellos stellte der NeXT-Computer sämtliche PCs und Macs in den Schatten. Er besass einen 32-Bit-Prozessor von Motorola mit 25 MHz und neben einer FPU noch weitere Co-Prozessoren, beispielsweise für die Digitalisierung von Audiomaterial. Eine Weltneuheit stellte das optische Laufwerk von Canon dar. Es bot 256 Megabyte Speicher und funktionierte ähnlich wie eine CD-ROM, arbeitete aber wesentlich schneller. Zudem waren die für 50 Dollar erhältlichen Scheiben wiederbeschreibbar.
Beeindruckend war auch das Softwarepaket: Neben dem Betriebssystem legte NeXT eine leistungsfähige Datenbank, einen Informationsmanager, ein E-Mail-System, eine Textverarbeitung, Mathematica und eine moderne Entwicklungsumgebung bei.

Für NeXT lief alles wie in einem Traum: Innerhalb von knapp drei Jahren hatte man einen Computer gebaut, der technologisch jedem Konkurrenzprodukt überlegen war. Doch der Computer war nicht nur schnell, sondern sah auch noch schick aus und wurde in einer vollautomatischen Manufaktur gefertigt. NeXT hatte viel Geld, besass ein fantastisches Produkt und genoss die überschwänglichen Kritiken der Presse. Nur etwas fehlte NeXT, etwas ganz entscheidendes: Nämlich die Kunden, die den teuren Rechner kaufen sollten. Sehr schnell wurde die Truppe rund um Steve Jobs von der Realität eingeholt. NeXT hatte sich bei der Einschätzung des Marktpotenzials gewaltig verspekuliert. Sie hatten einen Computer für das höhere Bildungswesen gebaut, doch wer war das höhere Bildungswesen? Der NeXT-Computer war eine Mischung aus PC und Workstation. Für eine Workstation fehlte ihm schlicht die Rechenpower, für einen PC war er überdimensioniert und zu teuer. Sun Microsystems stattete viele Universitäten gratis mit leistungsfähigen Workstations aus, sodass keine Nachfrage nach einem 10’000-Dollar-PC bestand. Und für Studenten liess der Rechner zwar keine Wünsche offen, doch leisten konnte ihn sich kaum jemand.

Bereits im März 1989 gab NeXT seine ursprüngliche Absatzpolitik auf. Obwohl der NeXTcube brandneu war, wollte ihn niemand kaufen. Die monatliche Produktion wurde innert wenigen Monaten zuerst auf 400 und kurz darauf auf 100 Exemplare heruntergefahren, doch selbst das war noch zu viel. Deshalb ging NeXT weniger als ein halbes Jahr nach der Einführung ihres Computers eine Partnerschaft mit der Einzelhandelskette Businessland ein. Businessland verkaufte den NeXTcube in ihren Shops zum stolzen Preis von 9’995 Dollar. Das Ziel lautete, im ersten Jahr mindestens 10’000 Rechner absetzen zu können, doch nach zehn Monaten hatte Businessland noch keine 400 Stück verkauft.

Dennoch riss die positive Berichterstattung über NeXT nicht ab. Im Juni investierte Canon 100 Millionen Dollar für eine 16-prozentige Beteiligung in NeXT. Ein grosser Teil dieses Geldes floss in den Ausbau der Produktionsanlagen, sodass man mehrere Zehntausend Computer pro Monat hätte fertigen können. Gegen aussen sah es so aus, als ob NeXT stark wachsen würde. Vier Jahre nach der Gründung beschäftigte NeXT mehr als 500 Angestellte, man bezog zwei neue, luxuriös ausgestattete Bürogebäude in Redwood City.

Man hatte den Eindruck, das sei eine Firma, die es wirklich geschafft hat, obwohl sie in Wirklichkeit nicht einen Computer verkauft hatte.

David Wertheimer, NeXT-Manager

Dem Management war schnell klar geworden, dass NeXT mit ihrem ersten Computer einen beispiellosen Flop produziert hatte. Aber da NeXT als privates Unternehmen keine Bilanzen veröffentlichen musste, drangen die Probleme gar nicht bis an die Öffentlichkeit vor. Die Presse feierte NeXT unaufhörlich und man traute es Steve Jobs noch immer zu, Apple zu übertrumpfen. Und tatsächlich tat sich im Frühsommer 1989 eine Möglichkeit auf, die NeXT ganz neue Perspektiven bescherte.

IBM, der weltgrösste Computerhersteller, bat NeXT um eine Zusammenarbeit. Für Steve Jobs kam diese Anfrage wie aus heiterem Himmel. Zusammen mit Apple hatte er erbittert gegen IBM angekämpft, und jetzt sollte er sich plötzlich mit Apples Feind verbünden? Was auf den ersten Blick als nicht nachvollziehbar erschien, ergab aus der Sicht von IBM durchaus Sinn. Zwar war IBM noch immer ein grosser Name der Branche, doch auch Big Blue hatte erkannt, dass die wirkliche Macht im PC-Business bei Microsoft lag. Seit Apple mit dem Macintosh die grafische Benutzeroberfläche massentauglich gemacht hatte, nahm die Bedeutung der Betriebssysteme laufend zu. NeXT stellte zwar mit ihrem Hochpreiscomputer für IBM keine Gefahr dar, aber dennoch wurden die hohen Tiere von IBM auf den würfelförmigen Computer aufmerksam. Doch sie interessierten sich weniger für die Hardware, sondern viel mehr für die Software. IBM wollte sich seit langem aus der Abhängigkeit von Microsoft lösen. Zusammen mit Microsoft arbeitete IBM an einem neuen Betriebssystem mit dem Namen OS/2. Doch mit der zunehmenden Verbreitung von Windows sank das Interesse von Microsoft an einem Nachfolgesystem. Doch welche Alternativen hatte IBM? Apple war der einzige Konkurrent von Microsoft, doch das Unternehmen aus Cupertino war nicht gewillt, die Macintosh-Plattform zu öffnen. In dieser ausweglos erscheinenden Situation fielen die Blicke der IBM-Manager auf NeXT.

NeXT hatte stets seine Hardware in das Licht der Öffentlichkeit gerückt. Steve Jobs legte Wert auf das Erscheinungsbild des Computers. Damit konnte er zwar den Journalisten imponieren, die Konkurrenz liess sich aber vom schmuckem Design und von den vollautomatischen Produktionsstätten wenig beeindrucken. Im Grunde wäre jeder PC-Hersteller in der Lage gewesen, aus den entsprechenden Komponenten einen gleichwertigen Computer wie den NeXTcube zu bauen. Die wirkliche Errungenschaft des NeXT-Rechners war sein Betriebssystem.

OpenStep auf Windows NT
OpenStep auf Windows NT

Steve Jobs liess den NeXTcube mit dem Ziel konstruieren, einen besseren Computer als den Macintosh zu bauen. Von Anfang an war ihm klar, dass dieses Ziel nur zu erreichen war, wenn auf dem NeXT ein leistungsfähiges System mit grafischer Benutzerschnittstelle arbeiten würde.
Um ein solches System zu entwickeln, brauchte Jobs fähige Mitarbeiter. Steve sagte einmal, dass nur ein Prozent aller Softwareentwickler wirklich gut sei und dass bei NeXT nur gute Leute arbeiten würden. Einer dieser Leute war Avie Tevanian, der in der Softwareabteilung von NeXT arbeitete. Vor seiner Arbeit als Chefentwickler bei NeXT hatte Avie mitgeholfen, den MACH-Mikrokernel zu entwickeln. Das Prinzip des Mikrokernels bestand darin, möglichst viele Prozesse aus dem Systemkern auszulagern, um eine maximale Stabilität zu erreichen. Dank der einfachen Kernelarchitektur war es möglich, ein leistungsfähiges UNIX-System - wie es bis dahin nur auf Supercomputern lief - für einen normalen Desktop-Rechner zu entwickeln. Genau das hatte NeXT getan. Ihr Betriebssystem, welches den Namen NeXTStep erhielt, basierte auf dem MACH-Kernel und wurde im September 1989 offiziell eingeführt, auf den zuvor ausgelieferten Computern lief noch eine Vorabversion des Systems. NeXTStep war ein extrem stabiles System, welches Speicherschutz und präemptives Multitasking beherrschte. Die Benutzeroberfläche basierte auf der Postscript-Bildbeschreibungssprache von Adobe, sodass NeXTStep über hervorragende grafische Fähigkeiten verfügte.

Doch das wirklich Revolutionäre an NeXTStep war der vollständig objektorientierte Systemaufbau. NeXT verwendete die Programmiersprache Objective-C, welche aber nicht inhouse entwickelt wurde. Objective-C ermöglichte ein wesentlich eleganteres Programmieren als beispielsweise C++, ausserdem war die Sprache sehr einfach zu erlernen. Ein zentrales Entwicklerwerkzeug unter NeXTStep war der Interface Builder. Damit liessen sich in kürzester Zeit Programme mit grafischer Oberfläche erstellen. Steve Jobs erkannte die Schlüsselrollen von Objective-C und dem Interface Builder. Er hatte alle Hebel in Bewegung gesetzt, um ein vollständig objektorientiertes Betriebssystem zu bekommen und das hatte sich gelohnt.

In meinen 20 Jahren in dieser Branche habe ich noch keine Revolution erlebt, die so weitreichend wie das objektorientierte Programmieren war. Damit kann man Software buchstäblich fünf- bis zehnmal schneller entwickeln, und diese Software ist viel zuverlässiger, viel leichter zu warten und viel leistungsfähiger.

Steve Jobs

Zweifellos war NeXTStep den Konkurrenzprodukten um mindestens eine halbe Dekade voraus. Das erklärt das immense Interesse von IBM an NeXTStep. Der Geschäftsführer von IBM wollte NeXTStep lizenzieren und anstelle von Windows auf sämtliche IBM PCs aufspielen. Steve wehrte sich vehement gegen diesen Vorschlag, doch die Manager von NeXT drangen ihn dazu, Verhandlungsgespräche aufzunehmen. Der Deal kam schlussendlich zu Stande, IBM überwies 60 Millionen Dollar auf Jobs’ Scheckbuch und erhielt dafür eine Lizenz für die erste Version von NeXTStep. Der Preis war ohne Zweifel viel zu hoch, denn erstens musste IBM für alle Nachfolgeversionen neue Verhandlungen aufnehmen und zweitens behielt sich NeXT das Recht vor, auch an andere PC-Hersteller Lizenzen zu vergeben. Und tatsächlich klopften kurze Zeit später Compaq und Dell mit der Bitte nach einer Lizenz bei NeXT an.

NeXT stand kurz davor, das nächste Microsoft zu werden. Alleine die erste NeXTStep-Version konnte hunderte Millionen in die Kasse spülen, wenn Jobs bereit wäre, weitere Lizenzen zu verkaufen. Doch Steve Jobs war dazu nicht bereit. Sowohl Compaq als auch Dell forderten nämlich, dass NeXT die eigene Hardwareproduktion im Falle einer Lizenzvergabe einstellen müsse. Doch Steve war das Hardwaregeschäft trotz der wirtschaftlichen Probleme wichtiger als die Software. Sein Perfektionismus und seine Vorstellung von Design liessen sich nur in der Hardware zum Ausdruck bringen, mit dem Gedanken, seine vollautomatische Fabrik zu schliessen, konnte sich Jobs nicht anfreunden. Deshalb entschied er sich gegen den Deal mit Dell und Compaq und beschloss stattdessen, einen neuen Computer zu entwickeln, mit dem man die langersehnten Erfolge würde feiern können. Damit hatte Steve Jobs die einmalige Chance vergeben, NeXT einen Platz als grossen Mitspieler im Kreis der Computerunternehmen zu verschaffen. Kurz nach dieser Entscheidung erkannte auch IBM, dass NeXTStep auf ihren PCs keine Zukunft haben würde und sie gaben die Zusammenarbeit auf - noch bevor auch nur ein einziger IBM PC mit NeXTStep ausgeliefert wurde.

Am 18. September 1990 führte NeXT vier neue Computer ein. Die NeXTstation war mit einem Preis von 4’995 deutlich günstiger als der Vorgänger. Ausgestattet war der Rechner im schwarzen Pizzaschachtelgehäuse mit dem brandneuen 68040er-Prozessor von Motorola und einer 105 Megabyte grossen Festplatte. Im Preis inbegriffen war ein monochromer Monitor. Für 3’000 Dollar Aufpreis gab es die NeXTstation Color, die besser ausgestattet war und mit einem Farbbildschirm ausgeliefert wurde. Gleich viel kostete der NeXTcube, welcher vor allem mit zahlreichen Erweiterungsslots glänzte. Das Nonplusultra war der NeXTcube mit eingebauter NeXT-dimension-Grafikkarte, welche 16.7 Millionen Farben auf das Display zauberte. Der Haken an der Geschichte war, dass der Hersteller des Videochips für die Dimension-Grafik seine Produktion einstellte und NeXT den Computer gar nicht ausliefern konnte. Zwar hatte NeXT viele Fehler seines ersten Rechners behoben, doch auch die neuen Modelle liessen sich kaum verkaufen. Das änderte sich auch nach der Einführung von höher getakteten Turbo-Modellen im Januar 1992 nicht.

Das Jahr 1990 stellte für NeXT einen Wendepunkt dar. NeXT erwirtschaftete einen Umsatz von lediglich 28 Millionen Dollar. Auch die neuen Modelle brachten nicht den erhofften Durchbruch. Allmählich stand Steve am Rande der Verzweiflung. In den vergangenen fünf Jahren hatte er 72 Millionen Dollar in seine Firmen NeXT und Pixar investiert. Die jährlichen Betriebskosten von NeXT beliefen sich unterdessen auf 60 Millionen, Steve besass aber nur noch 25 Millionen. Auch sein Privatleben bereitete ihm Sorgen. Nach einem abgelehnten Heiratsantrag zog seine schwangere Freundin aus seiner Wohnung aus. Auf einmal schien Jobs der Boden unter den Füssen wegzugleiten. Im April verliess eine Mitbegründerin von NeXT, Susan Barnes, das Unternehmen. Im Mai schloss der Vertriebspartner Businessland seine Verkaufsstellen. Im Juni legte Ross Perot seinen Posten als Vorstand nieder und bezeichnete seine Investition in NeXT als den grössten Fehler seines Lebens. Doch das Schlimmste war, dass ihm die Medien allmählich in den Rücken fielen und die wirtschaftlichen Schwierigkeiten von NeXT schonungslos aufdeckten. Jahrelang hatte ihn die Presse verehrt und angebetet, nun schlug alles in Hass und Verachtung um.

1991 verkaufte NeXT immerhin 20’000 Computer und vervierfachte den Umsatz im Vergleich zum Vorjahr. Canon versuchte NeXT mit einer Finanzspritze von 30 Millionen zu retten und schoss wenige Wochen darauf nochmals 55 Millionen hintendrein, verlangte aber, dass Jobs einen Manager anheuern und mit diesem die Firma gemeinsam leiten müsse. Steve Jobs hatte keine Wahl und stellte den Briten Peter van Cuylenberg ein. Diese Zeit war für Steve unglaublich hart. Die Manager verliessen NeXT in Scharen und auch Steve spielte mit dem Gedanken, seinen Posten aufzugeben und NeXT an Canon zu verkaufen. Kurze Zeit darauf erhielt er einen Telefonanruf von Scott McNealy, dem CEO des Erzrivalen Sun Microsystems. Dieser erzählte ihm, dass Jobs’ neuer Partner, van Cuylenberg, ihm angerufen habe mit der Absicht, Steve zu verraten. Peter van Cuylenberg hatte McNealy vorgeschlagen, NeXT aufzukaufen und ihn, van Cuylenberg, als alleinigen Unternehmenschef einzusetzen, während Jobs gefeuert werden sollte. Doch McNealy ging auf das Angebot nicht ein und berichtete Jobs über den Vorfall. Steve Jobs war völlig verunsichert, auf einmal schien er die Kontrolle über NeXT zu verlieren. Es war genauso wie mit John Sculley bei Apple sechs Jahre zuvor. Doch noch hielt Steve einige der entscheidenden Fäden in seiner Hand und er versuchte, NeXT mit einer schmerzhaften Aktion doch noch zu retten.

NeXT schloss im Februar 1993 seine Fabrik und sämtliche Hardwareabteilungen. 280 Mitarbeiter wurden vor die Türe gesetzt. Steve hatte eingesehen, dass NeXT nie zu einem zweiten Apple werden würde. Deshalb beschloss er, sich auf die Stärken von NeXT zu besinnen, NeXT würde sich in Zukunft ausschliesslich mit der Entwicklung und dem Verkauf von NeXTStep beschäftigen. Schon im vergangenen September war NEXTSTEP für Computer mit Intel-Prozessoren veröffentlicht worden.
Nachdem die Medien das Interesse an NeXT verloren hatten, verschwand das Unternehmen über längere Zeit aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit. Doch der Schritt, sich auf die Software zu konzentrieren, zahlte sich aus. 1994 erwirtschaftete NeXT zum ersten Mal einen Gewinn. NEXTSTEP etablierte sich als plattformunabhängiges Betriebssystem. Sun investierte zehn Millionen in die Technologie von NeXT. Gemeinsam stellten die beiden Unternehmen im Sommer 1994 ihre Pläne für OpenStep, eine offene Bibliothek zahlreicher Programmierschnittstellen auf der Basis von NEXTSTEP, vor. 1995 begann NeXT mit der Entwicklung von WebObjects, einem Entwicklungswerkzeug für Internet-Anwendungen. Sowohl OpenStep als auch WebObjects galten als technologisch solide Lösungen, deren Verbreitung aber gering war.

Apple kauft NeXT
Apple kauft NeXT

Während sich NeXT allmählich erholte, steuerte Apple geradewegs auf den Bankrott zu. Unterdessen war mehr als ein Jahrzehnt seit Jobs’ Rausschmiss verstrichen. Allerdings hatte Apple in dieser Zeit keine nennenswerten Fortschritte erzielt. Das marode Mac-System war technisch veraltet. Damals sprachen NeXT und Apple bereits über die Möglichkeit eines OpenStep-Aufsatzes für das Mac OS. Doch Steve Jobs erkannte seine Chance und bot NeXT zum Verkauf an. Gil Amelio, Apples damaliger CEO, liebäugelte ursprünglich mit einem Kauf der Firma Be, doch die Manager von Be entpuppten sich als zähe Verhandlungspartner. Da kam das Angebot von NeXT gerade recht.

Am 20. Dezember 1996 war das Geschäft perfekt. Apple kaufte NeXT zum Preis von 430 Millionen Dollar. Alle NeXT-Produkte und Dienstleistungen wurden in das Apple-Portfolio integriert und auch Steve Jobs kehrte zu Apple zurück. Auf der Grundlage von NEXTSTEP entwickelte Apple das Macintosh-System der Zukunft, Mac OS X. Steve Jobs übernahm im Sommer 1997 die operative Leitung von Apple und führte das Unternehmen anschliessend durch eine erfolgreiche Periode starken Wachstums.
In der zwölfjährigen Firmengeschichte verkaufte NeXT lediglich 50’000 Computer. Dennoch wird niemand die Geschichte von NeXT vergessen, die Geschichte einer Firma, welche mit dem Ziel der Zerstörung Apples ihren Anfang nahm und schlussendlich zur Rettung Apples und des Macintoshs führte.

Bildergalerie