Verlängerte Gewährleistungsfristen: Kostenlose Gewährleistungs-Fristverlängerung

Auf den 1. Januar 2013 hat der Gesetzgeber die Gewährleistungsregeln im Obligationenrecht (OR) grundlegend überarbeitet. Während zuvor gesetzlich lediglich eine Gewähr von einem Jahr vorgesehen war, wurde diese im Zuge der Revision auf zwei Jahre verlängert. Der Gesetzgeber hat es allerdings unterlassen, zu regeln, was passiert, wenn die Gewährleistungsfrist bei der Gesetzesänderung bereits läuft. Die Folgen dieses Unterlassens sind umstritten.

Patrick Bieri

Das Gesetz gewährt dem Kunden ab dem 1. Januar 2013 eine Gewährleistungfrist von zwei Jahren. Während diesen zwei Jahren haftet der Verkäufer dem Käufer für Mängel, die bereits bei Übergabe der Sache «im Keim vorhanden waren». Schäden, welche durch unsachgemässen Gebrauch entstanden sind, werden von der gesetzlichen Gewährleistungsfrist nicht erfasst. Voraussetzung für die Geltendmachung der Rechte ist wie bereits bei der alten Regelung, dass der Käufer die Ware prüft und bei Mängeln diese dem Verkäufer sofort meldet.

Von den gesetzlichen Gewährleistungsfristen, die in diesem Beitrag behandelt werden, zu unterscheiden sind die Garantien der Händler und Hersteller. Diese gehen über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus und gelten unabhängig von den gesetzlichen Regelungen. Ein Beispiel hierfür ist Apples «AppleCare». Die Unterscheidung zwischen der gesetzlichen Gewährleistung und der vertraglichen Garantie sorgte im letzten Jahr für Verwirrung. Die Sendung Kassensturz bezichtigte Apple, mit der «Apple One-Year Limited Warranty» die geltenden Gesetze zu missachten.

Trotz der nach Art. 210 Abs. 1 OR geltenden zweijährigen Gewährleistungsfrist kann diese nach Art. 210 Abs. 4 OR auch bei Verträgen mit Konsumenten komplett ausgeschlossen werden. Eine Verkürzung der Gewährleistung auf unter zwei Jahre ist bei neuen Sachen allerdings nicht möglich, wenn die Ware von den Kunden für den privaten Gebrauch verwendet werden und der Verkäufer die Ware in seinem Geschäft verkauft hat. Dies trifft beispielsweise in all jenen Fällen zu, in welchen sich der Konsument ein iPhone für den Privatgebrauch bei einem Händler kauft.

Was passiert mit Gewährleistungsfristen, die am 1. Januar 2013 bereits liefen?

Auf den ersten Blick wäre es am naheliegendsten, wenn die am 1. Januar 2013 bereits laufenden Gewährleistungsfristen wie bei Vertragsschluss ausgemacht auslaufen würden. Somit würde beispielsweise die Gewährleistungsfrist eines iPhones, das im September 2012 gekauft worden ist, bis im September 2013 laufen. Der Vertrag wurde unter den Regeln des alten ORs (1 Jahr Gefährleistung) abgeschlossen und diese sollten dem Bauchgefühl zufolge während des gesamten Zeitraums zur Anwendung kommen.

Bei der Teilrevision des OR hat es der Gesetzgeber allerdings unterlassen, Regeln aufzustellen, die den Übergang zwischen dem alten und dem neuen Recht regeln. Aus dem revidierten Artikel 210 OR geht nicht hervor, ob und wenn ja wie sich die bereits laufenden Gewährleistungsfristen im Zuge der Revision verändern.

Mehrere Lösungsmöglichkeiten für die Problematik

Für Regelungslücken wie diese hat der Gesetzgeber bereits bei der Schaffung des Zivilgesetzbuches (ZGB) im Jahr 1912 Vorkehrungen getroffen. Verjährungsfristen von unter fünf Jahren, die neu eingeführt werden, beginnen nach Art. 49 Abs. 2 SchlT ZGB erst mit dem Inkrafttreten des Gesetzes.
Wenn angenommen wird, dass dieser Artikel auf die Verjährung der Gewährleistung anwendbar ist, dann hätte die Gewährleistungsfrist am 1. Januar 2013 neu begonnen. Die ab dem 1. Januar neu beginnende Gewährleistungsfrist beträgt nach dem Willen des Gesetzgebers zwei Jahre. Wenn dem Gesetzeswortlaut gefolgt wird, hätte beispielsweise ein iPhone 5, das kurz nach der Lancierung im September 2012 gekauft worden ist, eine Gewährleistungsfrist bis Ende 2014. Ohne einen Aufpreis hätte der Besitzer des Gerätes demnach eine Gewährleistungsfrist von mehr als zwei Jahren.

Diese rechtliche Auffassung wird allerdings nicht von allen Juristen geteilt. Die Anwälte Markus Vischer und Gilles Benedick argumentieren in einem Aufsatz (PDF), dass vertraglich abgemachte Gewährleistungsfristen den übergangsrechtlichen Regelungen vorgehen. Anders soll gemäss den beiden Autoren die rechtliche Lage aussehen, wenn der Käufer und der Verkäufer keine Abmachung über die Gewährleistung getroffen haben. Beim Kauf von elektronischen Geräten, wie beispielsweise einem iPhone, wird allerdings in den meisten Fällen eine Gewährleistungsfrist vertraglich fixiert. Dieser Auffassung zufolge endete die Gewährleistungsfrist für ein im September 2012 gekauftes iPhone im September 2013.

In einem Jusletter-Beitrag nimmt David Rüetschi vom Bundesamt für Justiz die vermittelnde Position ein, dass die neue zweijährige Gewährleistungsfrist auch bei bereits laufenden Gewährleistungsfristen gilt. Die einjährige Gewährleistungsfrist würde gemäss dieser Meinung allerdings nicht im Januar 2013 neu zu laufen beginnen, sondern sich auf zwei Jahre verlängern. Ein im September 2012 gekauftes iPhone hätte dieser Auffassung zufolge eine Gewährleistungsdauer bis im September 2014. Der Jurist weist allerdings darauf hin, dass es sich bei dieser Ansicht um seine eigene Auslegung handelt.
Derselben Auffassung wie David Rüetschi sind auch die Anwältin Eva Bachofner und die Juristin Milena Grob in einem Aufsatz (PDF).

Wie gehen die Händler mit der rechtlichen Problematik um?

Diese Meinungsverschiedenheiten in der juristischen Lehre und Praxis machen es für die Kunden nicht einfacher, ihre möglichen Ansprüche anzumelden und durchzusetzen.
Ein Besuch im Swisscom-Shop offenbarte im Januar dieses Jahres exemplarisch dieses Problem. Das Computer-System beschied dem Personal, dass die Gewährleistungsfrist für ein im Jahr 2012 gekauftes iPhone 5 bereits im September 2013 ausgelaufen sei.

Die Swisscom stellt sich auf den Standpunkt, dass die beim Kauf getroffenen vertraglichen Abmachungen der neuen gesetzlichen Regelung vorgehen. Das Unternehmen gewährte den Kunden vor dem 1. Januar 2013 explizit eine «Garantiedauer» von 12 Monaten. Die Anwendung der neuen Gewährleistungsregeln auf die im Jahr 2012 gekauften Apple-Geräte schliesst die Swisscom demzufolge kategorisch aus. Damit übernimmt das Unternehmen die unter anderem von Vischer/Benedick vertretene Auffassung, dass vertragliche Abmachungen eingehalten werden müssen. Auch Orange verweist in einer Stellungnahme auf die einjährige Garantiedauer, die vor dem 1. Januar 2013 bei Apple-Geräten galt. Sunrise verweist in einer Stellungnahme auf den Lehrstreit, der bislang noch nicht entschieden worden ist. Der Provider schiebt dabei den Ball dem Hersteller zu, der für die Abwicklung der Fristenregelung verantwortlich sei.

Apple selbst hält sich «selbstverständlich immer an die geltenden Gesetze», wie das Unternehmen auf Anfrage festhielt.

Keine der von uns befragten Unternehmen rechnen damit, dass sich in Zukunft die Anfragen von Kunden häufen, die für ihre im Jahr 2012 gekauften Apple-Geräte einen mindestens zweijährigen Gewährleistungsanspruch durchsetzten wollen.

Folgen des Lehrstreits für die Konsumenten

Auf die Position der Kunden wirkt sich der oben beschriebene Lehrstreit negativ aus. Um von der verlängerten Gewährleistungsfrist zu profitieren, welche den Kunden gemäss einem Teil der Lehre zusteht, müssen diese im Extremfall den Rechtsweg beschreiten. Die Folge dieses Weges sind ein langer Prozess und die Ungewissheit, ob das Gericht später tatsächlich im eigenen Sinn entscheiden wird.
Solange kein Urteil ergangen ist, sind die Händler und Hersteller in einer komfortablen Situation. Sie können die Ansprüche der Konsumenten abblocken. Von Seiten der Kunden dürfte aufgrund des kleinen Forderungsbetrags kaum ein Prozess zu erwarten sein. Damit muss wohl auch kein Gericht die strittige Frage beantworten.

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