On the firing Line - Amelios undankbarer Abgang

Kapitel 13

2. Ausgabe vom Dezember 2009

Jean-Louis Gassée war sich sicher, Be an Apple verkaufen zu können. Diese Überzeugung wurde ihm schlussendlich zum Verhängnis. Er zeigte in der Frage um den Kaufpreis keinerlei Diskussionsbereitschaft. Daraufhin gab Amelio am 20. Dezember seine Absicht bekannt, NeXT zum Preis von 427 Millionen Dollar aufzukaufen und meinte spöttisch: «Wir haben uns für Plan A anstatt Plan Be entschieden.»

Ein grosser Teil der Branche hat über zehn Jahre vom Macintosh gelebt und die revolutionäre Benutzeroberfläche des Mac kopiert. Jetzt ist die Zeit für Innovationen gekommen, und wer könnte sie besser als Apple liefern? Wer sonst hat die Entwicklung in der Branche immer wieder vorangetrieben - zuerst mit dem Apple II, dann mit dem Macintosh und LaserWriter? Mit dieser Fusion wird die hoch entwickelte Software von NeXT mit den Hardwareplattformen und Marketingkanälen von Apple eine Ehe eingehen. Wir werden einen weiteren Durchbruch erzielen, indem wir vorhandene Plattformen weit hinter uns lassen und Apple und den anderen Herstellern neue Anstösse für die nächsten zehn Jahre und darüber hinaus geben. Ich fühle mich Apple noch immer sehr verbunden, und es verschafft mir grosse Freude, eine Rolle bei der Sicherung seiner Zukunft zu spielen.

Steve Jobs

Mit dem Aufkauf von NeXT kam auch Apple-Gründer Steve Jobs nach Cupertino zurück. Für viele Beobachter war die Rückkehr des verlorenen Sohnes wichtiger als der technologische Vorteil, den Apple sich durch die Übernahme erhoffte. Man rechnete es Gilbert Amelio hoch an, dass er Jobs wieder an Bord holte. Rasch verbreitete sich der Eindruck, Steve Jobs hege Ambitionen auf den Posten des CEOs, auch wenn Jobs dies mehrmals verneinte. Offiziell arbeitete Jobs als Berater, doch sein Einflussbereich auf die Medien und die Anwender war grösser denn je.
Am 7. Januar 1997 hielt Amelio die mit Spannung erwartete Keynote der Macworld Expo im Ballsaal des Marriott in San Francisco. Seine langatmige Rede wirkte zusammenhanglos. Amelio konnte sein Versprechen, die neue Betriebssystemstrategie zu präsentieren, nicht einhalten. Er sprach das Thema nur sehr weitläufig an. Das Publikum war froh, als Amelio die Bühne endlich räumte und Steve Jobs vor die Zuhörer trat, welche ihn mit Jubel und Applaus begrüssten. In knappen Worten erklärte Jobs Apples Pläne für das Mac OS. Nach dem Vorbild von Microsoft arbeitete Apple getrennt an einem System für Heimanwender und einem für Unternehmen. Letzteres erhielt den Codenamen Rhapsody, basierte auf OpenStep und sollte Ende 1998 in einer ersten Fassung ausgeliefert werden. Parallel dazu wollte Apple die Entwicklung des klassischen Systems weiter vorantreiben und als Betriebssystem für Consumer verwenden. Mit System 7.6 und vor allem mit Mac OS 8 hielten 1997 zahlreiche Funktionen aus dem Copland-Projekt in die Software Einzug.

Einen Monat nach der Macworld Expo sprach Lawrence Ellison erneut in der Öffentlichkeit über einen Aufkauf von Apple. Amelio vermutete eine Intrige, in der auch Jobs seine Finger im Spiel haben könnte und warnte davor, den Spekulationen Glauben zu schenken. Doch viel mehr als abwarten konnte Amelio nicht. Allein schon Ellisons Oracle-Aktien waren mehr als fünf Milliarden Dollar wert, so dass eine Übernahme Apples problemlos möglich gewesen wäre. Ende März erwarb Prinz Alwaleed bin Talal aus Saudi-Arabien sechs Millionen Apple-Aktien und zeigte sich an Ellisons Plänen interessiert. Der jedoch zog sein Angebot im April zurück. Dennoch stand Amelio weiterhin unter Druck. Die finanzielle Lage spitzte sich immer mehr zu, Apples Umsätze blieben konstant tief. Gemäss Amelios Plänen musste sich Apple durch überlegene Produkte den verlorenen Marktanteil zurückerobern, aber die Entwicklung solcher Produkte war zeit- und kostenintensiv. Im Frühjahr kündigte Apple mehrere Umbesetzungen in der Führungsetage an. Ellen Hancock musste ihren Sessel räumen, sie wurde durch Avadis Tevanian ersetzt. Jobs sorgte dafür, dass zahlreiche Schlüsselpositionen durch ehemalige Manager von NeXT besetzt wurden, was ihm selbst mehr Handlungsfreiraum gab.

Am 6. Juli kam, was kommen musste. Apples Vorstand enthob Gil Amelio seines Postens als CEO, auch wenn dieser seine Massnahmen bis zum bitteren Ende verteidigte. Dennoch gestaltete sich die Verabschiedung würdevoll. Amelio hatte die Wende eingeleitet, die Produktivität erhöht, die Personalstruktur gestrafft und hinterliess Apple in einem viel besseren Zustand, als er es bei seinem Amtsantritt vorfand. Er hatte sein Ziel erreicht, mit Apple den besten Personal Computer zu bauen. Im Sommer 1997 erreichten die Power Macs mit den PowerPC-604e-Chips bereits Taktraten von 350 Megahertz, der schnellste PC brachte es damals auf bescheidene 233 Megahertz. Apple hatte wieder Grund zur Hoffnung, es herrschte Aufbruchstimmung, man sah endlich wieder Perspektiven für die Zukunft.

Während Amelios 500 Tagen in Cupertino fuhr Apple 1.6 Milliarden Dollar Verlust ein. Nach dem Abschied von Gil Amelio bot der Vorstand den freien CEO-Posten Steve Jobs an, der jedoch ablehnte. Jobs versprach, Apple bei der Suche nach einem neuen Chef behilflich zu sein, doch solange er an Bord war, verlief die Suche erfolglos. Gil Amelio machte kein Geheimnis aus seiner Überzeugung, dass Jobs seine Entlassung eingefädelt habe. Während Apple offiziell noch auf der Suche nach einem CEO war, nahm Jobs das Ruder interimistisch in die Hand.

Die Rettung für Apple besteht nicht darin, die Kosten zu senken. Sie besteht darin, einen innovativen Weg aus der aktuellen Misere zu finden.

Steve Jobs

Jobs sah überall Handlungsbedarf. Ohne Abschweife begann er, sämtliche alten Stricke abzuschneiden. Jeder Geschäftspunkt musste neu beurteilt werden. Als erstes waren die Clone-Hersteller an der Reihe. Noch im Juni hatte Amelio die Lizenzvereinbarungen für Mac OS 8 mit Power Computing neu geregelt. Power Computing plante bereits den Börsengang, doch die wachsende Macht von Jobs stellte alles wieder in Frage. Auf der WWDC bezeichnete er die Clone-Anbieter als Parasiten. Im Juli kam Mac OS 8 auf den Markt, doch Jobs weigerte sich, das System an Power Computing auszuhändigen.

Wenn die Plattform wieder geschlossen wird, ist es vorbei. Das ist das Ende. Der Todesstoss.

Joel Kocher, CEO von Power Computing

Die Sommer-Macworld in Boston stand vor der Tür. Kocher wollte Jobs vor der Öffentlichkeit dazu zwingen, zu seinem Vertragsbruch Stellung zu beziehen. Doch Steve Jobs kümmerte sich nicht darum, er schockte das Publikum mit ganz anderen Neuigkeiten. Apples Vorstand wurde reorganisiert und mit neuen Managern besetzt, einer davon war Lawrance Ellison. Abschied nahm hingegen Mike Markkula, nach dem er über 20 Jahre bei Apple tätig gewesen war und sowohl das Amt des CEOs als auch das des Präsidenten ausgeübt hatte. Im gleichen Atemzug verkündigte Jobs den Schulterschluss mit Microsoft. Als das Bild von Bill Gates auf der Grossleinwand erschien, machten die versammelten Mac-User ihrem Unmut über Microsoft Luft; Bill Gates galt als Inbegriff des Bösen. Jobs liess sich davon nicht aus dem Konzept bringen. Apple installierte auf den Macs fortan den Internet Explorer als Standardbrowser, Microsoft verpflichtete sich im Gegenzug, das Office-Paket bestehend aus Word, Excel und PowerPoint weitere fünf Jahre für den Mac anzubieten. Steve Jobs hatte die Schlüsselrolle dieses Programmpakets erkannt, der Pakt brachte Apple nur Vorteile.

Wir müssen vom Glauben wegkommen, dass Apple nur gewinnen kann, wenn Microsoft verliert.

Steve Jobs

Für seine Rede erntete Jobs viel Lob und Beifall. Doch eine Frage galt es noch zu klären. Was sollte mit den Clone-Herstellern passieren? In der Woche nach der Macworld gab Apple bekannt, keine PPCP-Systeme mehr zu zertifizieren. Damit liess man die Clone-Hersteller aushungern, da Mac OS 8 nur auf zertifizierten Systemen ausgeliefert werden durfte. In die Enge getrieben, wollte Kocher Apple verklagen, schliesslich hatte er den Vertrag für Mac OS 8 in der Tasche. Doch Apple erklärte sich bereit, Power Computing zu übernehmen. Daraufhin liess Kocher seine ohnehin aussichtslose Klage fallen. Auch wenn UMAX noch bis im Frühjahr 1998 Mac-Clones auslieferte, nahm die Ära der Clones schon ein Dreivierteljahr früher ein jähes Ende.

Power Computing war ein Pionier im Direktmarketing und Direktvertrieb auf dem Macintosh-Markt und hat erfolgreich ein 400-Millionen-Dollar-Geschäft aufgebaut. Wir freuen uns darauf, aus den Erfahrungen des Unternehmens zu lernen und seine Kunden zurück in der Apple-Familie zu begrüssen. [...] Der Hauptgrund ist der, dass die Lizenzgebühr, die Apple von den Lizenznehmern erhält, auch nicht annähernd ihren Anteil an den Ausgaben gedeckt hat, um die Mac-OS-Plattform zu entwickeln und zu vermarkten. Das bedeutet, dass Apple letztlich mit jeder Lizenz für ein Mac-OS-kombatibles System mehrere Hundert Dollar Subventionen leistet. Unser Vorstand ist überzeugt, dass Apple nie mehr schwarze Zahlen schreiben wird, wenn diese Praxis fortgesetzt wird, egal wie gut die Geschäfte von Apple laufen. Das gesamte Ökosystem des Mac wird sich weiter verschlechtern, zum Nachteil Apples und schliesslich auch der Lizenznehmer. Es wird keine Gewinner geben.

Steve Jobs

Jobs’ respektloser Umgang mit den Clone-Herstellern sorgte zwar vielerorts für Aufsehen, Empörung und Wehmut, das prominenteste Opfer der Reformen des Apple-Gründers waren sie aber nicht. Denn für wesentlich mehr Gesprächsstoff sorgten Steve Jobs’ Pläne für den Newton. Nachdem der Newton 1993 seinem grössten Fürsprecher, John Sculley, den Kopf gekostet hatte, mauserte sich die Abteilung im Lauf der Jahre zu einem bedeutenden Geschäftszweig. Mit dem NewtonOS 2 und einer neuen Generation von MessagePads sorgte die Abteilung für positive Schlagzeilen. Hervor stach besonders das MessagePad 2000, welches von einem 166 Megahertz schnellen StrongARM-Prozessor befeuert wurde und zusätzliche Schnittstellen besass. Gleichzeitig führte Apple 1996 mit dem eMate 300 ein Newton-Modell mit einer Tastatur als Eingabegerät ein. Damit schaffte es die Newton-Division erstmals in die Gewinnzone. 1997 suchten Amelio und Anderson fieberhaft nach einem Käufer für den Newton, um damit Geld in Apples beängstigend leere Kassen zu spülen. Da niemand bereit war, einen nennenswerten Preis für die Newton-Technologie zu bezahlen, entschloss sich Amelio im Mai, die Abteilung als eigenständige Tochtergesellschaft namens Newton Inc. von Apple abzuspalten. Im August hatte das neu gegründete Unternehmen bereits seine Vorstandsmitglieder ernannt und einen Geschäftsplan erstellt. Doch dann geschah etwas Unerwartetes. Steve Jobs hielt nichts von Amelios Idee, die Newton-Division auszugliedern und machte den Schritt prompt rückgängig. Jobs sah, dass in der Newton-Abteilung sehr viel technologisches Wissen steckte, das wollte er unbedingt in der Firma Apple behalten. Kurze Zeit später, am 20. Oktober, erhielt der Newton ein letztes Update. Apple führte das MessagePad 2100 ein, welches zusätzliche Netzwerkfähigkeiten und eine erhöhte Speicherkapazität besass. Auf Jobs’ Anordnung hin stellte die Abteilung Ende 1997 sämtliche Arbeiten ein, der Newton war Geschichte. Jobs begründete seine Entscheidung damit, dass Apple sich voll auf den Macintosh konzentrieren müsse, um wieder profitabel wirtschaften zu können. 

Steve Jobs leitete das Unternehmen wie ein kleiner Diktator. Er mochte den Newton nie, weil er Sculleys Idee war, und deshalb hat er ihm den Todesstoss versetzt.

Edward Martin, Newton-Entwickler