Hoffnungsvolles Projekt: Copland

Kapitel 10

2. Ausgabe vom Dezember 2009

Bei seinem Abgang hinterliess John Sculley einen Scherbenhaufen. Apple war heruntergewirtschaftet und hatte an allen Fronten zu kämpfen. Sculleys eigene Reformen kamen nur harzend voran, der Vertrag mit IBM lag bereits zwei Jahre zurück, von Macs mit PowerPC-Prozessoren und dem Taligent-System war weit und breit noch nichts zu sehen. Der Newton tat sein übriges, Apple stand mit dem Rücken zur Wand. Die Marktanteile schwanden dahin, Apple brauchte dringend jemanden, der neue Impulse setzen und das Unternehmen wieder auf die Erfolgsspur führen konnte. Dieser Herausforderung stellte sich Michael Spindler, der den Sitz des Apple-CEOs von Sculley erbte. Der gebürtige Deutsche besass den Spitznamen «The Diesel», weil er Apples Probleme direkt und mit nie endender Kraft anging. Spindler durfte bereits auf eine 13-jährige Karriere bei Apple zurückblicken, in der er sich jedoch stets vom Rampenlicht fern gehalten hatte. Seine Aufgabe als CEO bestand nun darin, Apples Fokus wieder auf das Kerngeschäft zu richten und die zahlreichen ressourcenfressenden kleinen Forschungsprojekte in den Apple-Labors zu stoppen. Daneben war bei vielen Apple-Managern die Ansicht gereift, Apple brauche einen starken Verbündeten, um längerfristig auf dem Markt bestehen zu können. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit wurde Spindler angewiesen, nach attraktiven Fusionspartnern für Apple zu suchen.

Sein erstes Jahr als Apple-CEO verlief für Spindler grossartig. Mit der Entlassung von 2’500 Angestellten konnte er die Kosten massiv senken. Am 14. März 1994 stellte er im Lincolm Center for the Performing Arts in New York den Power Macintosh der Öffentlichkeit vor. Zum ersten Mal in seiner Geschichte wurde die Hardwarearchitektur des Macs komplett erneuert. Die neue Mac-Generation wurde befeuert von der brandneuen Motorola PowerPC-601-CPU mit Taktraten von bis zu 80 Megahertz. In den Benchmarktests waren die neuen Macs bis zu doppelt so schnell wie die damals teuersten Windows-PCs mit den ebenfalls neuen Pentium-Prozessoren von Intel. Mit dem Power Mac gab Apple ein beeindruckendes Lebenszeichen von sich. Und es sollte noch besser kommen. Gleichzeitig mit der Vorstellung der neuen Macs präsentierte Apple überraschend auch eine neue Betriebssystemstrategie. Denn während die Partnerschaft mit IBM bei der Hardware nun endlich fruchtete, dümpelte die Entwicklung von Taligent träge vor sich hin. Apple und IBM waren sich uneinig über die Entwicklungsziele, so dass sich Apple bereits Ende 1991 nach einer Alternative umgesehen hatte: Copland. Spindler gab bekannt, dass Apple an einem modernen Betriebssystem mit dem Codenamen Copland arbeite, und dass dieses zeitgleich mit Windows 95 als Mac OS 8 erscheinen solle. Jede Zeile Code sollte neu geschrieben werden, Copland verfügte über einen objektorientierten Aufbau, eine neue Oberfläche und einen komplett neuen Finder. Zu den neuen Funktionen zählten auch eine leistungsfähige, auf Datenbanken basierende Suchfunktion, diverse Möglichkeiten zur individuellen Anpassung des Systems an die Bedürfnisse des Benutzers, zahlreiche intelligente Assistenten, die dynamische Verwaltung des virtuellen Speichers sowie Multithreading-Fähigkeiten. Apples Roadmap sah bereits für 1996 das Update auf Mac OS 9 vor (Codename Gershwin), welches dem System präemtives Multitasking und Speicherschutz beibringen sollte.

Mit dieser Strategie wollte Apple den Bedürfnissen der professionellen Kundschaft gerecht werden. NeXT, das von Steve Jobs nach seinem Abgang bei Apple 1985 neu gegründete Unternehmen, hatte schon vor Jahren gezeigt, wie eine moderne Systemarchitektur auszusehen hatte und Microsoft zog 1993 mit der Vorstellung einer objektorientierten Version von Windows, Win NT, nach. Nach dem hin und her um Taligent wollte Apple mit Copland den ursprünglichen Vorsprung auf die Konkurrenz wieder herstellen.

Die Nachfrage nach den neuen Power Macs fiel von Anfang an hoch aus, Apple verkaufte innert zehn Monaten eine Million Exemplare. Ein Ergebnis, welches nur dank der Zusammenarbeit mit Motorola und IBM möglich war. Spindler wollte die Zusammenarbeit noch intensivieren, im Herbst 1994 begannen Apple und IBM die Details einer Fusion auszuarbeiten. Nach zweiwöchigen Gesprächen unterbreitete IBM-CEO Louis Gerstner den anwesenden Apple-Managern ein Kaufangebot: IBM bot einen Preis von 40 Dollar pro Aktie, fünf Dollar mehr, als Apples Wertpapiere nach dem damaligen Kurs kosteten. Apple war damit nicht einverstanden, Spindler forderte 60 Dollar pro Aktie. Überrascht ab dieser vermessenen Forderung erklärte Gerstner die Gespräche für beendet und zog ab. Spindler, der lediglich darauf aus gewesen war, ein Gegenangebot zu erhalten, hatte sich verschätzt. Nun begann eine panische Suche nach weiteren Interessenten. Apple lehnte ein Kaufangebot von Canon ab und wandte sich stattdessen an Compaq und Hewlett-Packard, doch auch diese Hoffnungen zerschlugen sich bald.

Die finanzielle Lage in Cupertino verschlechterte sich trotz guter Mac-Verkäufe zusehends. Apple unterschätzte das Wachstum des Umsatzes im Weihnachtsgeschäft 1994 total. Die Nachfrage nach Power Macs war doppelt so hoch wie prognostiziert, Apples Lieferrückstände waren gewaltig und überschritten im Juni 1995 die Volumengrenze von einer Milliarde Dollar. Gleichzeitig blieben die preisgünstigen Performa-Macs in den Regalen wie Blei liegen, was Apple zu massiven Preisreduktionen und Wertabschreibungen zwang. Im Sommer 1995 startete die Konkurrenz aus Redmond einen gross angelegten Werbefeldzug, um die Einführung von Microsoft Windows 95 anzukündigen. Apple stand mit dem Rücken zur Wand. In einem letzten Versuch, Apple doch noch verkaufen zu können, wandte sich Spindler im Dezember 1995 an Scott McNealy, den CEO von Sun Microsystems. Doch auch Sun lehnte ab, nachdem Apple einen Quartalsverlust in der Höhe von 69 Millionen Dollar verkünden musste. Im Geschäftsjahr 1995 erzielte Apple einen Umsatz von 11 Milliarden Dollar und verkaufte 4.5 Millionen Macintoshs, so viele wie noch nie zuvor. In den Labors von Apple arbeiteten unzählige Teams an verschiedenen Produkten, welche kaum mehr etwas mit Apples Kerngeschäft, der Produktion und dem Verkauf von Computern, zu tun hatten. Im Jahr 1994 hatte Apple unter dem Namen QuickTake eine eigene Digitalkamera auf den Markt gebracht, für 1996 plante Spindler die Einführung einer auf der PowerPC-Architektur basierenden Spielkonsole (Codename Pippin). Gleichzeitig pushte Spindler die Entwicklung der Newton-Architektur, welche auch zwei Jahre nach ihrem Debüt noch immer tiefrote Zahlen schrieb. Apple hatte bereits im Frühjahr 1995 mit der Auslieferung des MessagePad 120 die grundlegenden Schwächen des Newtons auskuriert, doch wesentlich bedeutender war die Ankündigung der Version 2.0 des NewtonOS im November des Jahres. Das Update brachte eine Fülle von neuen Features. Endlich war es möglich, sämtliche Daten mit Macs und PCs zu synchronisieren. Noch wichtiger war die verbesserte Handschrifterkennung, welche nun äusserst zuverlässig arbeitete. Doch während die Newton-Abteilung allmählich einen Lichtstreif am Ende des Tunnels erblickte, ging es mit dem Macintosh bachab.

Im August 1995 begann Apple mit der Auslieferung des PowerBook 5300, dem ersten Notebook mit PowerPC-Prozessor. Apple hatte die Entwicklung des Gerätes vorangetrieben, da viele Käufer sehnsüchtig auf das Gerät warteten. Mit den PowerBooks, von denen Apple in den ersten zwei Verkaufsjahren mehr als eine Million Exemplare abgesetzt hatte, hatte sich Apple ein Standbein im Markt der Mobilcomputer erarbeitet. Die Apple-Notebooks spielten in einer anderen Liga als diejenigen der Konkurrenz, die PowerBooks waren mit ihren Trackpads, den Tastaturen in Originalgrösse, den grossen Displays, einer guten Batterielaufzeit und ihrem geringen Gewicht jedem PC-Notebook um Jahre voraus. Als Apple auch mehr als ein Jahr nach der Einführung des Power Macintoshs noch kein Notebook mit der neuen Prozessorgeneration vorzuweisen hatte, geriet der Computerhersteller aus Kalifornien allmählich in Erklärungsnot. Doch das Schlimmste stand den Herren aus Cupertino noch bevor. Kaum hatte Apple im Spätsommer 1995 die ersten Exemplare des PowerBook 5300 an die Endkunden ausgeliefert, machten Gerüchte um explodierende Batterien die Runde. Im September rief Apple sämtliche bis dahin verkauften Geräte zurück, da die verwendeten Lithion-Ionen-Batterien von Sony überhitzen und schlussendlich explodieren konnten. Die Techniker bauten nun andere Batterien ein, welche zwar anstandslos funktionierten, aber 30 Prozent weniger Laufleistung boten, worauf Apple den Preis für die PowerBooks senken musste. Doch die Batterien waren nur eine von vielen Schwachstellen des PowerBook 5300. Der Ruhezustand führte bei einigen Geräten zu Totalabstürzen, viele Erweiterungskarten funktionierten nicht, der Stecker des Netzteils brach häufig ab und das Gehäuse des Notebooks wies bei vielen Geräten Sprünge auf. Im Mai 1996 bot Apple sämtlichen Käufern den Austausch der Hauptplatine an und stellte die Produktion der Geräte ein.

Apple durchlebte in der Vergangenheit schon mehrmals solche Phasen, für Mac-User sind diese Schlagzeilen nichts Neues. Apples Kunden sind sehr loyal, sie fühlen sich mit Apple verbunden, daran ändert auch die aktuelle Situation nichts

Steve Livinghouse, Geschäftführer eines in Santa Clara ansässigen Computerladens über Apples Probleme unter Spindler

Die Branchenbeobachter waren sich einig, dass 1996 ein Schlüsseljahr sein würde. Apple musste die Wende schaffen, sonst würde das Unternehmen zugrunde gehen. Es stellte sich lediglich die Frage, wer die Wende herbeiführen konnte. Hatte «The Diesel» überhaupt noch die nötige Kraft und den Rückhalt, um das sinkende Schiff in seichtere Gewässer zu steuern? Auf der Aktionärsversammlung im Januar forderten einige Aktionäre offen den Rücktritt von Spindler.

Ich habe keine Selbstkritik von ihnen gehört. Sie haben das Firmenvermögen schlecht verwaltet, Sie haben wertvolle Chancen verstreichen lassen, und Sie haben ein grossartiges Unternehmen herabgewirtschaftet. Mr. Spindler, es ist Zeit zu gehen!

Orin McClukey, Aktionär von Apple

Spindler rang um Fassung und versuchte, mit diversen Lösungsvorschlägen die aufgeregten Aktionäre zu besänftigen. Er verkündete die Entlassung von weiteren 1’300 Angestellten, um zusätzliche Kosten zu sparen. Ausserdem versprach er, Apples Produktpalette zu straffen, da die Kunden allmählich den Überblick über die verschiedenen Mac-Modelle verloren. Mike Markkula stellte sich demonstrativ hinter Apples CEO und sprach ihm jegliche Unterstützung zu. Doch all das nützte nichts mehr. Am 31. Januar 1996, nur acht Tage nach der Hauptversammlung der Apple-Aktionäre, wurde Spindler seines Amtes enthoben. Am 2. Februar verkündete Apple in einer Pressemitteilung, dass das Vorstandsmitglied Gilbert F. Amelio den Posten des CEO übernehmen würde.

Es ist also Zeit für mich zu gehen! Habe ich mir Fehler oder Fehlurteile zu Schulden kommen lassen? Oh ja, viele sogar. In geschäftlicher wie in persönlicher Hinsicht. Ich übernehme die persönliche Verantwortung für Dinge, die nicht funktioniert haben und hätten funktionieren sollen. Ich habe versucht, mein Bestes zu geben - geistig und körperlich, wo auch immer ich mich auf der Welt aufgehalten habe, um dieses Ziel zu verfolgen. Ich habe versucht, mit Ihnen offen, ehrlich und direkt umzugehen. Denjenigen von Ihnen, die mir in all diesen Jahren geholfen haben, die mich unterstützt und sogar geleitet haben, danke ich von ganzem Herzen für ihre Freundschaft und das Zusammensein mit Ihnen. Wenn ich diesen Ort verlasse, den ich geliebt und gefürchtet habe, werde ich wieder eins - ich werde hoffentlich wieder mehr Vater, mehr Ehemann und mehr Privatmann sein.

Michael Spindler in einer E-Mail an alle Apple-Mitarbeiter.

Offiziell hiess es, Apples Vorstand habe das Vertrauen in Spindler verloren. Seine Massnahmen zur Gesundung Apples hätten nicht gefruchtet, deshalb habe «The Diesel» seinen Sessel räumen müssen. Am meisten litt Apple unter der tiefen Bruttogewinnspanne, welche im ersten Fiskalquartal 1996 bei lediglich 16 Prozent lag - fünf Jahre zuvor lag die Marge noch bei über 50 Prozent! Doch die inoffizielle Wahrheit lautete, dass Spindler entlassen wurde, weil seine Betriebssystemsstrategie gescheitert war. Spindlers ehrgeiziges Ziel, Copland im Sommer 1995 auszuliefern, entpuppte sich schon kurz nach der Bekanntgabe der Roadmap als unrealistisch. Als Apple im November 1995 eine erste Beta-Version an einige wenige Entwickler verteilte, versprach man noch immer, Copland würde Mitte des Jahres 1996 erhältlich sein. Doch intern war schon damals die Einsicht gereift, dass Copland erst 1997 - wenn überhaupt - fertig gestellt sein würde. Apple hatte den Internet-Trend völlig verschlafen und versuchte nun, das Versäumte nachzuholen, indem Copland mit zahlreichen Internet-Diensten ausgestattet werden sollte. Die Verspätung von Copland stürzte Apple in die tiefste Krise der Unternehmensgeschichte, Microsoft hatte Apple mit Windows 95 in verschiedener Hinsicht überholt. Während seiner Amtszeit bei Apple sah Spindler nur noch einen Weg, um die Mac-Plattform doch noch entscheidend zu stärken: Michael Spindler wagte einen Schritt, welchen seine Vorgänger stets gefürchtet und den er selbst über Jahre vehement bekämpft hatte.